Zwei Jahre ist es her, da heuerte er in Katar an. Von Paris St. Germain, wo er nach seinem Wechsel 2017 vom VfL Wolfsburg sechs Jahre gespielt hatte, unterschrieb Julian Draxler bei Al-Ahli SC. Der mittlerweile 32 Jahre alte offensive Mittelfeldspieler, der 2014 mit Deutschland den WM gewann und 2022 sein bislang letztes von 58 Länderspielen bestritten hat, genießt das Leben abseits der großen europäischen Fußballbühne.

Frage: Herr Draxler, Sie sind kürzlich in Ihre dritte Saison beim katarischen Erstligisten Al-Ahli gestartet. Wie hätten Sie 2014 als Weltmeister reagiert, wenn man Ihnen das vorhergesagt hätte?

Julian Draxler: Ich hätte es wahrscheinlich nicht geglaubt. Damals spielten Katar und der gesamte arabische Raum im Fußball ja nicht so eine große Rolle. Und ich selbst hatte 2014 auch andere Ziele. Aber komplett ausgeschlossen hätte ich den Schritt nach Katar damals wohl auch nicht ...

Frage: Wie kam es eigentlich zu Ihrem Wechsel nach Katar?

Draxler: Ich habe damals gemerkt, dass meine Zeit bei PSG zu Ende geht. In der Vorsaison war ich an Benfica verliehen und wollte eigentlich noch mal richtig angreifen – doch dann bin ich fast ein ganzes Jahr verletzt ausgefallen. Danach stand ich sportlich mit dem Rücken zur Wand, weil ich in den Planungen von PSG keine Rolle mehr spielte und überlegen musste, wie ich weitermache.

Frage: Und dann?

Draxler: Ich hatte zwar ein paar Angebote aus England, aber ich war körperlich überhaupt nicht auf der Höhe – auch, weil ich in Paris gegen Ende nicht mehr richtig in die Saisonvorbereitung eingebunden war. Als dann das Angebot aus Katar kam, habe ich das als Chance gesehen, um abseits der Öffentlichkeit fit zu werden und in Ruhe wieder regelmäßig Fußball zu spielen. Natürlich war dieser Schritt auch finanziell sehr verlockend. Inzwischen fühlen meine Frau und meine Kinder uns hier aber auch abseits des Fußballs richtig wohl.

Frage: Das liegt auch an Ihrem neuen Privatleben.

Draxler: Genau. Seit ich mit 17 Jahren bei Schalke durchgestartet bin, war ich sofort pausenlos in der Öffentlichkeit. Da konnte ich plötzlich nicht mehr unerkannt auf die Straße gehen, wurde ständig angesprochen und auch immer wieder ungefragt gefilmt. Nach der WM 2014 und speziell in Paris hatte ich mir deshalb angewöhnt, in der Stadt eine Kappe tief ins Gesicht zu ziehen und den Leuten nicht länger in die Augen zu schauen, um nicht aufzufallen.

Frage: In Katar ist das anders?

Draxler: Zum einen werde ich hier viel weniger erkannt. Und die Leute, die mich erkennen, unterbrechen mich kaum beim Essen mit der Familie oder beim Spaziergang durch die Mall. Ich kann hier ein total normales Leben führen, was wohl auch an der Kultur in Katar liegt. Das klingt banal. Für mich war es anfangs aber sehr ungewohnt – und hat großen Spaß gemacht. Diese Privatsphäre ist auch ein wichtiger Faktor dafür, dass meine Familie und ich so gerne hier leben. Es ist sogar noch heute so, dass ich durchatme, wenn ich beispielsweise aus dem Urlaub nach Katar zurückkomme.

Frage: Hätten Sie rückblickend gerne auf Ihre Bekanntheit verzichtet?

Draxler: Nein, ich bereue das überhaupt nicht. Die Bekanntheit kommt ja davon, dass ich den Traum vieler Kinder und Jugendlicher leben darf: angefangen beim schnellen Durchbruch bei einem so großen Verein wie Schalke über den Sprung zur Nationalmannschaft und den WM-Titel bis hin zum Wechsel zu Paris Saint-Germain, wo ich Seite an Seite mit den Besten der Welt gespielt habe.

Frage: In Deutschland diskutieren Experten und Fans dennoch oft, ob Sie nicht noch mehr hätten erreichen können. Sind Sie mit Ihrer Laufbahn vollends zufrieden?

Draxler: Ja, ich fand und finde meine Karriere absolut geil. Aber ich kann es schon verstehen, wenn Leute sagen: „So wie der damals angefangen hat, wäre vielleicht mehr drin gewesen“. Solche Gedanken hatte ich selbst auch schon. Am Ende komme ich allerdings immer zum selben Schluss.

Frage: Und zwar?

Draxler: Es ist alles gut so, wie es gelaufen ist. Wenn ich zum Beispiel nach der Ankunft von Mbappé und Neymar früher von PSG weggegangenen wäre, hätte ich meine heutige Frau nicht kennengelernt und meinen Sohn nicht bekommen. Rein sportlich hätte es vielleicht noch besser laufen können, ja. Es hätte aber auch sehr viel schlechter laufen können. Es sind doch einige große Titel zusammengekommen, und ich bin insgesamt extrem glücklich.

Frage: Gibt es trotzdem einen Moment, an den Sie gerne zurückkehren und eine andere Entscheidung treffen würden, um zu sehen, was dann passiert wäre?

Draxler: Davon gibt es mehrere Momente. Als ich noch ganz jung auf Schalke war und verlängert habe, hätte ich zu Arsenal gehen können. Ehrlicherweise würde es mich schon interessieren, was aus mir geworden wäre, wenn ich so früh schon von Arsène Wenger gelernt hätte. Ich habe mich auch schon gefragt, was gewesen wäre, wenn ich von Wolfsburg nicht nach Paris, sondern zu Jürgen Klopp nach Liverpool gegangen wäre. Auch diese Möglichkeit hatte ich. Trotzdem bin ich mit all meinen Entscheidungen im Reinen.

Frage: Sie haben Ihren Vertrag bei Al-Ahli erst im Januar bis 2028 verlängert. Wäre eine andere Liga sportlich nicht reizvoller?

Draxler: Es ist kein Geheimnis, dass das fußballerische Niveau hier nicht dasselbe ist wie in einer europäischen Top-Liga. Aber der Wettbewerb wird dank Spielern wie Marco Verratti oder Roberto Firmino immer besser. Mittlerweile kommen auch junge Spieler wie Tuta aus Frankfurt hierher. Das ist ein richtig guter Bundesliga-Spieler im besten Fußballer-Alter. Und es ist auch nicht so, dass ältere Weltmeister wie Javi Martínez oder ich hier machen, was wir wollen.

Frage: Die Katarer wollen ja eine Gegenleistung für ihr Geld …

Draxler: Wir sollen das Niveau anheben und unsere Teams mit unserer Erfahrung weiterentwickeln. So nehme ich meine Rolle jedenfalls wahr. Die Vereine wollen schon Leistungen sehen, sonst können die Spieler auch ganz schnell wieder ausgetauscht werden – das sieht man aktuell auch in Saudi-Arabien. Die Liga hat ein klares Konzept und auch sportlichen Reiz, weil der Fußball immer besser wird und mittlerweile jeder jeden schlagen kann. Das hat zu einer interessanten Entwicklung geführt, mit der vor einigen Jahren kaum jemand gerechnet hat.

Frage: Welche?

Draxler: Katar hat mittlerweile eine stärkere Anziehungskraft. Ich kann zwar keine Namen nennen, aber es haben sich schon einige gute Spieler bei mir danach erkundigt, was sie tun müssen, um hierher zu wechseln. Das ist mittlerweile gar nicht so leicht, weil die Kaderplätze für ausländische Spieler begrenzt sind, um den einheimischen Fußball zu stärken.

Frage: Kommt eine Rückkehr nach Europa für Sie als Spieler überhaupt noch infrage? Mit 19 Toren und 14 Vorlagen in 34 Spielen für Al-Ahli haben Sie durchaus Werbung für sich machen können.

Draxler: Ich habe hier nicht umsonst bis 2028 verlängert. Wechsel-Gedanken habe ich aktuell nicht.

Frage: Und wie planen Sie die Zukunft nach Ablauf Ihres Vertrags?

Draxler: Ich habe meiner Familie versprochen, dass ich bis 2028 mein Sportmanagement-Studium mache. Ansonsten bin ich für alles offen: sei es ein weiterer Vertrag als Spieler, eine Auszeit mit meiner Familie oder ein anderer Job im Fußball. Was mich nach meiner Spielerkarriere perspektivisch auf jeden Fall reizt, ist ein Wechsel auf die andere Seite des Fußballs – ins Management.

Frage: Gibt es einen Manager, von dem Sie gerne lernen würden?

Draxler: Also, wenn Frank Baumann irgendwann fragen sollte, ob ich ihn auf Schalke ein wenig unterstützen kann, würde ich wahrscheinlich nicht Nein sagen (lacht). Aber im Ernst: Ich sehe mich natürlich nicht gleich irgendwo in der Hauptverantwortung, sondern in einer Position, in der ich von anderen lernen und selbst wachsen kann. Sollte Raúl mal auf der Suche nach einem Co-Trainer sein und auf mich zukommen, würde ich das wohl auch machen. Raúl war schon zu unserer gemeinsamen Zeit als Spieler mein Mentor. Von ihm habe ich am allermeisten gelernt, und ich glaube, das könnte auch in anderen Bereichen des Fußballs klappen. Ich kann mir auch viele andere Wege vorstellen. Klar ist nur, dass ich im Fußball bleiben möchte und mich auf das Karriereende bestmöglich vorbereiten will.

Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) erstellt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.

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