Die deutsche Fußball-Nationalspielerin Kathrin Hendrich sorgte unfreiwillig für den kuriosesten Moment bei der Fußball-EM der Frauen im Sommer. Im Viertelfinale gegen Frankreich sah Hendrich Rot, weil sie ihre Gegenspielerin Griedge Mbock Bathy am Zopf gezogen hatte. Jetzt spricht die 33-Jährige das erste Mal über die Szene, die Folgen – und ihr neues Leben in Chicago.
Frage: Frau Hendrich, Sie spielen seit dem Sommer für Chicago Red Stars. Wie sind Sie in den USA angekommen?
Kathrin Hendrich: Ich habe mich gut eingelebt und bin überwältigt von der Stadt. Wir haben an diesem Wochenende ein Oktoberfest in Chicago. Die Mitspielerinnen haben sich schon Dirndl besorgt.
Frage: Die US-Liga bricht einen Ablöse-Rekord nach dem anderen. Wie ist das Niveau?
Hendrich: Man kann den Fußball nicht mit dem in der Bundesliga vergleichen. Es wird ganz anders gespielt. Alle Spielerinnen sind extrem athletisch. Das Spiel ist nicht taktisch geprägt, dafür aber sehr schnell, es geht ständig hin und her. Jedes Team spielt mit offenem Visier. Ich bin als Innenverteidigerin ständig beschäftigt, es kommt immer etwas auf dich zugerollt. Nach 90 Minuten bin ich komplett platt, aber mir macht das viel Spaß.
Frage: Was sind noch Unterschiede zur Bundesliga?
Hendrich: Wir haben immer Security dabei. Alles um uns herum wird überprüft. Flitzer haben keine Chance, an uns Spielerinnen heranzukommen. Das Publikum ist lauter und emotionaler als in Deutschland. Weil das Land so groß ist, reisen wir oft zwei, drei Tage vor einem Spiel an, um uns an die andere Zeitzone oder das Klima zu gewöhnen. Und wir bekommen viel Freiraum, können vor den Spielen zum Beispiel auch auf eigene Faust auswärts essen gehen.
Frage: Wie denken Sie an die EM zurück?
Hendrich: Ich bin sehr stolz, dass wir ins Halbfinale gekommen sind (Aus nach 0:1 in der Verlängerung gegen Spanien, die Redaktion), aber auch ein bisschen traurig, weil wir gegen Spanien so knapp in der Verlängerung ausgeschieden sind. Meine letzte Szene im Turnier war natürlich nicht so toll.
Frage: Im Viertelfinal-Duell gegen Frankreich zogen Sie Ihrer Gegenspielerin Griedge Mbock Bathy am Zopf, sahen die Rote Karte. Der fällige Elfmeter wurde zwar verwandelt, trotzdem schafften Ihre Mitspielerinnen das kleine Wunder und gewannen das Spiel noch im Elfmeterschießen.
Hendrich: Inzwischen kann ich die Bilder an sich mit Humor nehmen. In der ersten Zeit nach der Roten Karte ging es mir gar nicht gut. Worüber ich auch jetzt alles andere als lachen kann: Ich musste mir viele Dinge anhören.
Frage: Von wem?
Hendrich: Aus meiner Mannschaft, von meinen Freunden und auch der Familie gab es nur Trost und alle waren für mich da. Es gab aber von außen viele Anfeindungen. Mir haben wildfremde Menschen private Nachrichten bei Instagram geschrieben. Das Absurdeste war der Vorwurf, ich sei rassistisch (Gegenspielerin Mbock Bathy ist dunkelhäutig, d. Red.), was natürlich nicht stimmt. Aber man fragt sich: Wie kommt man darauf? Das krasseste aber war, dass mir jemand schrieb, dass ich mich doch umbringen solle. Ich würde heute jedem raten, die Nachrichten gar nicht mehr anzuschauen, weil es dich unterbewusst doch trifft.
Frage: Wie sehen Sie die „haarige“ Szene heute?
Hendrich: Ich war und bin damit völlig im Reinen. Es war weder böse noch ein Blackout. Es war eine unglückliche Situation. Ich versuche, den Kontakt zur Gegenspielerin zu halten, schaue aber nicht zu ihr, sondern zum Ball. Ich mache sicherlich eine kurze Greifbewegung wie jeder bei allen Standardsituationen. Dann merke ich aber, dass ich irgendwo festhänge und will meine Hand wegziehen. Dass es ihre Haare waren, habe ich erst viel später realisiert. Es sieht maximal blöd aus und ich kann auch verstehen, dass die Schiedsrichterin Rot zeigen muss.
Frage: Sind Sie bis zur WM 2027 in der Nationalmannschaft dabei?
Hendrich: Erst mal stehe ich noch zur Verfügung. Der Plan ist, dieses Jahr noch mit dem Team abzuschließen. Dann setzen wir uns zusammen und besprechen, was am meisten Sinn ergibt.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in „Bild am Sonntag“ veröffentlicht.
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