Paralympics-Goldmedaillengewinnerin Elena Semechin ist zum ersten Mal Mutter geworden. Die zweimalige Paralympics-Siegerin brachte am Dienstag ihren Sohn Klaus Phillip zur Welt. „Ich bin unendlich dankbar und voller Liebe. Willkommen auf dieser Welt, mein kleiner Schatz“, schrieb die 31 auf Instagram zu einem Bild, auf dem sie im Krankenhausbett liegend ihr Baby in den Armen hält. Ende August war Semechin mit dem SPORT BILD-Award geehrt worden. Das Gespräch wurde vor der Geburt des Sohnes geführt.
Frage: Frau Semechin, Sie haben den SPORT BILD-Award in der Kategorie Paralympics bekommen. Was bedeutet er Ihnen?
Elena Semechin: Der Abend war ganz besonders für mich. Ich habe viele spannende Menschen und Persönlichkeiten getroffen und kennengelernt. In der ersten Reihe neben Legenden wie Boris Becker und Jürgen Klopp zu sitzen, das war eine große Ehre für mich. Mir wurde noch einmal klar, was ich nach heftigen, ereignisreichen Zeiten Tolles erreicht habe mit der Goldmedaille bei den Paralympics in Paris. Der Weg dorthin war wirklich hart. Dafür die Wertschätzung zu erfahren war toll. Aber ich habe den Preis nicht nur für mich in Empfang genommen, sondern stellvertretend für ganz viele Menschen, die von Krankheiten oder Schicksalsschlägen betroffen sind und kämpfen müssen.
Frage: Was haben Jürgen Klopp und Boris Becker zu Ihnen gesagt?
Semechin: Als ich zurück von der Bühne kam, sagte Jürgen Klopp zu mir, dass er mich sehr inspirierend findet und selten so eine Persönlichkeit getroffen hat. Er war sehr gerührt. Dieses Kompliment war dann auch für mich sehr ergreifend. Auch Boris Becker sagte mir, wie beeindruckt er von mir ist. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Abend so emotional für mich wird.
Frage: Sie sind für ganz viele Menschen Inspiration und Mutmacherin. Gibt das Ihnen selbst auch Kraft?
Semechin: Ja, das zeigt mir immer wieder, dass ich mich für den richtigen Weg entschieden habe. Wieder aufstehen und kämpfen lohnt sich. Man wird mit vielen schönen Momenten belohnt. Der Abend beim Award war so ein Moment. Hieraus ziehe ich Kraft und frische Energie, die ich dann mit anderen Betroffenen teilen kann.
Frage: Ab dem Alter von sieben Jahren erblinden Sie, nach dem Goldgewinn 2021 wird ein Krebstumor in Ihrem Kopf gefunden. Trotzdem lassen Sie sich nicht unterkriegen. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Semechin: Meine schwierige Kindheit spielt eine große Rolle. Schon als Kind wurde ich nach unserem Umzug von Kasachstan nach Russland ausgegrenzt. Dann musste ich mit einer Behinderung aufwachsen. Das war eine sehr schwierige Zeit, die mich aber auch irgendwie abgehärtet hat. Ich habe den Vergleich, wie gemein und grausam, aber auch wie wunderschön das Leben sein kann. Dass ich jetzt hier in Deutschland als selbstständige, mündige Frau leben darf, macht mich glücklich. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, seine Stimme erheben zu können und Vorbild für andere Menschen zu sein. Ich halte ja auch Vorträge und versuche, den Menschen einen anderen Blickwinkel auf ihr Leben zu vermitteln. Das gibt mir Kraft, immer wieder weiterzumachen, auch nach dem nächsten Rückschlag. Ich sehe es als Chance, das Leben genießen zu können.
Frage: Haben Sie noch Kontakt nach Kasachstan?
Semechin: Meine Eltern leben dort, zu ihnen habe ich Kontakt. Aber es ist schon drei Jahre her, dass ich in Kasachstan war. Die Distanz ist groß, und ich lebe in Deutschland ein völlig anderes Leben. In Kasachstan ist das 21. Jahrhundert noch nicht angekommen. Frauen haben dort immer noch einen schweren Stand und können nicht selbstbestimmt leben. Meine Eltern habe ich zuletzt vor drei Jahren auf unserer Hochzeitsfeier gesehen.
Frage: Sie sind hochschwanger, der errechnete Geburtstermin ist der 26. September. Wie geht es Ihnen im neunten Monat?
Semechin: Die ersten Monate der Schwangerschaft sind wie im Flug vergangen. Aber momentan fühlt es sich an wie in Zeitlupe. Mir geht es gut, aber jeder Tag ist anstrengend. Ich hoffe, dass es endlich losgeht. Solange mache ich alles ganz langsam und gemütlich. Aber ich bin voller Vorfreude.
Frage: Wie sehr wird der Sohn Ihr Leben verändern?
Semechin: Das wird noch mal etwas komplett anderes werden. Bislang hat sich der Alltag als Sportlerin nur um mich gedreht. Bald wird ein Menschlein da sein, um das sich ab sofort alles dreht. Das wird eine sehr große Herausforderung für uns. Aber ich habe mir das schon so lange gewünscht, ein Kind zu haben, schon seit den Spielen 2021 in Tokio. Dann kam aber der Krebs dazwischen. Es ist ein absolutes Wunschkind, und ich bin bereit, absolut alles umzustellen und mich anzupassen.
Frage: Ist die Sportkarriere damit vorbei?
Semechin: Auf keinen Fall. Wenn die Geburt ohne Komplikationen verläuft, möchte ich bis Ende des Jahres wieder mit dem Training anfangen. Mein neues großes Ziel sind die Spiele 2028. Es gibt ja viele Frauen, die nach der Geburt ihres Kindes weiter erfolgreich waren. Die Läuferin Gesa Krause zum Beispiel oder die Fußballerin Almuth Schult. Ich werde auch als Mutter wieder angreifen. Es wird eine sehr spannende Reise nach Los Angeles mit uns dreien. Ich habe mich ja dafür starkgemacht, dass sich die Strukturen ändern müssen, was Mutterschutz und Leistungssport angeht. Jetzt muss ich beweisen, dass man auch als Mutter erfolgreich auf die sportliche Bühne zurückkehren kann.
Frage: Die nächste Herausforderung für Sie.
Semechin: Allerdings. Die Herausforderungen verfolgen mich (lacht).
Frage: Wie werden Sie denn unterstützt?
Semechin: Es ist traurig, wie man als Sportlerin während der Schwangerschaft unterstützt wird – nämlich fast gar nicht. Ich habe das Glück, dass mir die meisten meiner Sponsoren treu geblieben sind.
Frage: Wie viele Sponsoren haben Sie?
Semechin: Ich habe vier Premium- und drei kleinere Partner. Leider habe ich vom Behindertensportverband immer noch keine Info bekommen, ob es möglich ist, auch im Mutterschutz unverändert gefördert zu werden. Dafür kämpfe ich. Das System muss angepasst werden, damit Sportlerinnen guten Gewissens Mutter werden können. Mir droht, dass ich ab Januar meinen A-Kader-Status verliere und damit alle daran geknüpften Fördermittel. Ich sitze hier kurz vor der Entbindung und weiß nicht, wie es mit dem Verband weitergeht. Das finde ich unglaublich. Die normale Förderung allein würde schon nicht zum Leben reichen. Das ist schon traurig genug.
Frage: Wie oft müssen Sie zur Krebs-Nachuntersuchung?
Semechin: Eigentlich alle sechs Monate. Aber ich war jetzt schon mehr als ein Jahr nicht in der Klinik. Ich wollte das während der Schwangerschaft wegen des Kontrastmittels nicht. Alle um mich herum sind schon ganz unruhig. Sobald das Baby da ist, werde ich zur Untersuchung gehen, um sicher zu sein, dass nichts nachgewachsen ist.
Frage: Sind Sie selbst gar nicht unruhig?
Semechin: Doch, teilweise schon. Wenn ich mal Kopfschmerzen oder Sehstörungen habe, denke ich: Oh Gott, so hat das damals auch angefangen. Dann werde ich nachdenklich und ängstlich. Aber ich versuche dann, diese Gedanken beiseitezuschieben. Ich kann die Situation gerade auch nicht ändern. Aber ich hoffe auf das Gute und dass da nichts nachgewachsen ist. Sich verrückt zu machen bringt sowieso nichts. Das ist Zeit- und Energieverschwendung.
Frage: Nach Aussage der Ärzte besteht eine 25-prozentige Gefahr, dass Ihre Augenkrankheit an Ihr Kind vererbt wird. Wie sehr beunruhigt Sie das?
Semechin: Selbst wenn es so kommt und die Krankheit weitervererbt wird, kann man auch damit gut leben. Das sehe ich ja an mir selbst. Ich freue mich so sehr auf unser Kind. Beim Ultraschall hatte ich ein kleines Fernglas, mit dem ich ein bisschen die Umrisse des pochenden Herzens gesehen habe. Das war sehr bewegend für mich.
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