Manch Athlet traute seinen Augen nicht: Da stand er, der Olympiasieger von 2008 und dreimalige Hawaii-Sieger mit Hut und Sonnenbrille am Streckenrand, feuerte lautstark an und streckte seine Hand zum Abklatschen aus. Jan Frodeno (44) genoss es, bei der Ironman-WM der Männer in Nizza ganz entspannt sein Ding zu machen und nach dem Dreifachsieg der Norweger all die Altersklassenathleten beim Marathon zu unterstützen.
Für Frodeno ist es eine Rückkehr an den Ort seiner vielleicht größten Niederlage, an jenen Schauplatz, an dem seine Karriere 2023 emotional endete. Sein Traum von der Krönung mit einem finalen WM-Triumph blieb unerfüllt. Früh ging auf der Radstrecke nicht viel, den Marathon genoss er deshalb als Abschiedslauf. Mit einem Lächeln. Jetzt war er als Zuschauer, als Botschafter für seine Partner sowie als TV-Experte vor Ort. Ein Foto hier, ein Plausch da, ein paar Tipps, ein Autogramm – der 44-Jährige ist weiterhin ein gefragter Mann.
WELT: Herr Frodeno, zurück am Ort Ihres Karriereendes. Wie ist das für Sie?
Jan Frodeno: Ich habe mich wirklich sehr darauf gefreut, hierher zur WM zu kommen und konnte neidlos zusehen. Den Sport verfolge ich natürlich nach wie vor. Ich bleibe gerne mit dem Finger am Puls und kann es genießen zuzuschauen – auch hier in Nizza.
WELT: Keine Wehmut?
Frodeno: Nein, ich kann nach wie vor sagen, dass es alles gut so war. Dadurch, dass ich in diesem letzten Rennen so schlecht war und mir der Abschied null wehtat, weiß ich, dass das, was die Jungs aufopfern und hier an den Start bringen, für mich nicht mehr Teil meines Lebensabschnitts ist. Ich freue mich als Zuschauer einfach über richtig gute Rennverläufe. Und es ist auch keinesfalls so, dass ich mich ärgern würde oder neidisch wäre, wenn Patrick (Lange, Anm. d. Red.) erneut einen WM-Titel gewinnt und damit einen mehr hat als ich. Für mich ist dieser Sport nichts Statisches, ich war einfach Teil der Entwicklungskurve.
WELT: Das klingt sehr klar und nach einem gelungenen Cut.
Frodeno: Wohl auch, weil ich sagen kann: Ich habe nichts verwaltet und für mich nichts unbeantwortet gelassen. Ich habe dem Sport alles gegeben, der Sport hat mir alles gegeben – und das ist es. Da muss ich mich jetzt auch nicht an alten Anekdoten festhalten und ständig auf mich und meine Zeit in diesem Sport zurückblicken. Ich habe losgelassen. Und ich kann auf die Leistungen anderer blicken und sagen: Hut ab! Gerade auch vor Patrick, der jetzt so langsam in dieses Alter kommt, in dem er schon so lange dabei ist und so oft Rückschläge wegstecken muss, um Leistung zu zeigen. Das kann ich wirklich komplett neidlos bewundern und sage: Junge, alles Gute auf diesem Wege. Und für mich selbst weiß ich: Es war ein guter Zeitpunkt, um zurückzutreten.
WELT: Patrick Lange erlebte einen harten Tag in Nizza, hat aber gekämpft, obwohl das Podest aussichtslos war, als er auf die Marathon-Strecke ging.
Frodeno: Und er hat es damit noch in die Top Ten geschafft. Diese Konstanz, vor allem mit 39, ist stark. Er hatte ja eine schwierige Vorsaison, was bei ihm allerdings nichts heißen muss – Patrick ist DER Meisterschaftsmann. Ich denke, er wird mit seinem Radfahren von Nizza nicht zufrieden sein, aber seine reine Laufleistung war ein Paradebeispiel fürs Durchhalten. Er hat einfach weitergemacht. Ein Kämpfer.
WELT: Vorn haben drei Norweger den Titel unter sich ausgemacht. Wie haben Sie das erlebt?
Frodeno: Wahnsinn! Casper Stornes hat Gustav Iden und Kristian Blummenfelt das letzte Mal 2017 geschlagen – da sieht man mal, was es mit einem Athleten macht, wenn man so lange im Schatten steht. Das ist schon faszinierend. Irgendwann ist man für immer und ewig Dienstagmorgen Weltmeister – oder eben nie. Man hat jetzt gesehen: Er wollte das unbedingt, er hatte das im Kopf, als er aus der Wechselzone gelaufen ist. Perfekt umgesetzt.
WELT: Bis etwa zur Vier-Stunden-Marke hat Jonas Schomburg ganz vorn für Tempo und Akzente gesorgt. Hat er Sie beeindruckt?
Frodeno: Er hat ein mega Rennen gezeigt. Dass er ein hohes Tempo gehen kann, wusste man, dieses Vollgasgeben ist absolut seine Stärke. Aber Wahnsinn, was er hinten raus auch noch für ein geiles Rennen gemacht hat. Das war beeindruckend. Ein großartiges Ergebnis, auf dem man aufbauen kann. Der Wechsel gemeinsam mit seinem Vater...
WELT: ... der auch sein Trainer ist und früher auf der Kurzdistanz aktiv war ...
Frodeno: Sie sind dann in diesem Jahr gemeinsam von der Kurz- zur Langdistanz gewechselt, für beide ist das neu. Und von Olympia in Richtung Profitum – das ist nicht einfach. Schön, dass es ihnen dabei so gut ergangen ist!
WELT: Zurück zu Ihnen. Sie sagen, Sie haben losgelassen. Heißt das auch, Sie verfolgen die immer mal wieder aufploppende Diskussion um den GOAT, Greatest of all time, tiefenentspannt?
Frodeno: Total. Mark Allen (sechsmaliger Hawaii-Sieger zwischen 1989 und 1995, Anm. d. Red.) hat in seiner Zeit als Athlet Menschen vom Sofa gezogen, ihnen eine wunderbare Phase im Leben verschafft und wird deswegen für manche immer der Größte sein. Weil sie diese emotionale Bindung haben. Bei anderen bin vielleicht ich derjenige oder ein ganz anderer Triathlet. Das sollte man locker nehmen. Ich amüsiere mich eher, wenn Leute versuchen, diese Frage nach dem GOAT zu analysieren und sich die Athleten dann auch noch darauf einlassen.
WELT: Wie fit sind Sie denn aktuell?
Frodeno: Bewegung und Sport sind nach wie vor ein großer Teil meines Alltags und ein absolutes Muss für mich. Ich brauche das. Aber nach dem Spitzensport geht es natürlich fitness-technisch nur noch nach unten, weil es heute ganz andere Umfänge sind.
WELT: Und wie kommen Sie damit klar, genau das zu beobachten?
Frodeno: Tatsächlich relativ gut. Der Trick ist, nicht messbare Sportarten zu betreiben. Trailrunning, Tennis, Mountainbiken, Radfahren – all das mache ich für mein Leben gerne. Und es ist ja auch so, dass sich der Körper manchmal an etwas erinnert. Um morgens draußen Sport zu treiben, reicht es immer noch. Aber momentan sitze ich auch gerne einfach mal einen Tag am Computer (u.a. für Projekte wie die Bekleidungsmarke Ryzon, Triathlon-Events unter dem Namen SGRAIL, zudem ist er Experte bei der Professionals Triathlon Organisation, Anm. d. Red.). Insgesamt muss ich sagen, geht es mir einfach gut. Es war auch toll, im Sommer mit den Kindern ein bisschen Ferien zu haben, dabei gleichzeitig zwischendurch mal eine typische Frodeno-Woche einzuschieben – ein Tag in London, ein Tag zu Hause in Andorra, zwei Tage in Polen, danach Berlin und wieder Andorra, um dann am Wochenende nach Italien in den Urlaub zu fliegen.
WELT: Stichwort Trailrunning, Sie haben in diesem Jahr auch an einem Wettkampf teilgenommen – und hoffen nun, nächstes Jahr beim Ultra-Trail du Mont-Blanc (UTMB) starten zu können?
Frodeno: Ich möchte mich qualifizieren, ja – nicht für das Hauptevent über mehr als 170 Kilometer, sondern für eine der kürzeren Distanzen. Ich habe keinen Anspruch an eine Platzierung – das wäre vermessen. Und es wäre auch falsch, wenn das irgendwer als Comeback betitelt. Ich möchte den UTMB einfach mal erlebt haben. In diesem Jahr hatte ich, ehrlich gesagt, den Qualifikationsprozess nicht verstanden. Ich möchte mir da aber auch keinen Startplatz geben lassen und mir damit einen Gefallen tun lassen. Dazu ist mein eigener Anspruch dann schon noch zu hoch, zudem ist dieses Rennen ja sehr besonders.
WELT: Der UTMB ist gewissermaßen das Hawaii der Trailrunner…
Frodeno: Genau. Dieses Rennen möchte ich dann auch ehren und mich richtig qualifizieren. Hinzu kommt: Es ist als Sportart mit Triathlon nicht zu vergleichen und in diesem Sinne also hilfreich für mich (lacht). Ich muss sagen, ich habe durch Trailrunning, also durch das Training für den Wettkampf, zum ersten Mal nach dem Karriereende meine Freude am Laufen wiederentdeckt. Es geht ja oftmals darum, was zwischen der Zielsetzung und der Zielerreichung passiert. Und ich merke auch, dass ich in einigen Bereichen langsam diesen Perfektionismus loslassen kann, unbedingt großartig performen zu müssen.
WELT: Wirklich?
Frodeno: Wirklich. Ich würde zum Beispiel auch gerne mal beim New York Marathon laufen; das fände ich spannend. Oder ein anderes der Major – einfach, um es gesehen zu haben. Mich freut es total, dass ich auf einmal wieder „einfach so“ laufen kann und Freude daran habe, denn zuvor bin ich eineinhalb Jahre fast gar nicht gelaufen, dabei war es mal eine große Leidenschaft von mir. Ich bin letztens auch einfach an der Cote d'Azur am Strand entlang getrabt und hatte „Born to Run“ auf dem Ohr – herrlich. Ich habe dann kurz auf die Uhr geschaut und gestaunt: 3:30 Minuten im Schnitt.
WELT: Sport wird nicht nur bei Ihnen, sondern in Ihrer Familie allgemein großgeschrieben. Sie haben zwei Kinder. Welche Art von Sportvater sind Sie denn als ehemaliger Top-Athlet – entspannt, nervös, fordernd, feiernd? Sie erzählten mal, dass Ihr Sohn an einem Mountainbike-Rennen teilnahm.
Frodeno: Äußerlich bin ich total entspannt – hoffe ich jedenfalls. Innerlich merke ich, dass es mich teilweise fuchst, weil ich immer diese Leidenschaft und den inneren Kämpfer suche. Und meine Kinder sind – ich meine das wirklich nicht negativ – einfach völlig okay. Sie haben ein bisschen Talent, sind einfach dabei. Wir sind mit beiden einen Trailrun gelaufen, was eigentlich schon relativ krass ist. Und ich habe letztens mit Luca eine 55 Kilometer lange Mountainbiketour gemacht. Aber mit E-Bikes. Das ist schon was! Aber in den Rennen fehlt ihm der Biss. Das ist einfach eine Feststellung.
WELT: Nicht leicht, wenn man selbst anders tickt.
Frodeno: Nicht ganz. Ich glaube und hoffe aber, es hinzukriegen, dass sie sich wertgeschätzt fühlen – das ist mir wichtig. Mir ist das Ergebnis auch völlig egal, wenn sie an einem Wettkampf teilnehmen. Hinzugehen und alles zu geben, ist ja etwas anderes – gerade mein Größerer ist da aber sehr, sehr entspannt. Vielleicht wird er gerade deshalb mal so gut. Es ist auf jeden Fall so, dass wir viele Kilometer fahren, viel Zeit in irgendwelchen Hallen oder Bergen oder Wäldern verbringen und die Kinder einfach ausprobieren lassen. Und das ist das Schöne hier in Andorra, wo wir leben: dieser Freiraum.
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin und in Nizza vor Ort. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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