Die verstörenden Bilder des Abbruchs der letzten Vuelta-Etappe dürften in die Sportgeschichte eingehen. Die Bilder der Siegerehrung aber auch. Auf einem Parkplatz lassen die Stars die Korken knallen. Ein Ex-Weltmeister ist in großer Sorge.
Auf einem Parkplatz erklimmt Vuelta-Gesamtsieger Jonas Vingegaard eine Kühlbox mit der hastig aufgemalten Nummer eins und entkorkt eine Flasche Champagner. Während die Nationalhymne aus einer mobilen Musikbox ertönt, schlurft ein Hund durch die kuriose Szenerie. Um Vingegaard herum versammeln sich die Wertungssieger und seine Konkurrenten um den Gesamtsieg, die sich vor einer behelfsweise an ein Auto gehafteten Werbeplane mit der Siegerbrause bespritzen.
Die provisorische Siegerehrung auf dem Parkplatz war notwendig geworden, weil den Rad-Stars die große Bühne durch heftige Proteste von propalästinensische Demonstranten in Madrid genommen wurde. Vingegaard und Co. machten zwar das Beste aus der misslichen Situation - doch die von Protesten überschattete Rundfahrt hatte mit dem vorzeitigen Abbruch der Schlussetappe ihren Tiefpunkt erreicht.
Bei Vingegaard, der bei der dreiwöchigen Spanien-Rundfahrt zum ersten Mal triumphierte, überwog vor allem die Enttäuschung über das Ende des Rennens. "Es ist schade, dass uns ein solcher Moment der Ewigkeit genommen wurde", sagte der zweimalige Tour-de-France-Sieger und wurde noch deutlicher: "Ich bin wirklich enttäuscht darüber. Ich hatte mich darauf gefreut, diesen Gesamtsieg mit meinem Team und den Fans zu feiern. Jeder hat das Recht zu protestieren, aber nicht auf eine Weise, die unser Rennen beeinflusst oder gefährdet."
Organisatoren: "Bedauern die Vorfälle"
Das sieht auch Maximilian Schachmann so. Der deutsche Zeitfahrmeister habe schon erwartet, dass es auf der Schlussetappe zu Problemen kommen werde. "Was wir gestern gesehen haben, das war absurd. Da sind Leute von der Seite ins Feld gesprungen und haben reingetreten auf uns Fahrer", schilderte der 31-Jährige. "Und da fragen wir Fahrer uns auch: Wie soll das das Problem lösen?" Schachmann hält es für wichtig, dass Menschen "ihre Meinung frei äußern können und dass man demonstrieren kann. Aber ich verurteile solch gewaltvolles Vorgehen und auch das Eingreifen in das Rennen", sagte der gebürtige Berliner weiter.
Angaben der spanischen Behörden zufolge nahmen mehr als 100.000 Menschen an den propalästinensischen Protesten in Madrid teil. Die Organisatoren sahen sich dazu gezwungen, die Etappe vorzeitig zu beenden. "Wir von der Organisation der Vuelta bedauern die Vorfälle, die sich während der Austragung der Schlussetappe der Vuelta 25 ereignet haben", hieß es in einem Kommuniqué.
Bilder zeigten, wie Demonstranten Absperrgitter auf die Straße beförderten und es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Wie Behörden aus Madrid mitteilten, sei die Demonstration am Sonntagabend ohne schwerwiegende Zwischenfälle verlaufen. Etwa 1500 Polizisten waren auf den Straßen der Hauptstadt im Einsatz. 22 Beamte der Nationalpolizei erlitten leichte Verletzungen.
Opposition attackiert spanische Regierung
Für das Chaos und die schlimmen Bilder machte die konservative Opposition in Spanien keinen Geringeren als den Chef der linksgerichteten Zentralregierung "direkt verantwortlich". Pedro Sánchez habe mit seinen israelkritischen und "unverantwortlichen" Äußerungen zu den gewalttätigen Protesten ermuntert, meinte etwa der Bürgermeister der Hauptstadt, José Luis Martínez-Almeida. Sánchez hatte vor der letzten Etappe erklärt: "Ich möchte unseren Respekt und unsere Anerkennung gegenüber den Sportlern betonen, aber auch gegenüber einem Volk wie dem spanischen, das sich für gerechte Anliegen mobilisiert."
Die Proteste richteten sich gegen das Vorgehen Israels im Gazastreifen. Und im Besonderen vor Ort gegen das Team Israel Premier Tech. Der Sportdirektor des Rennstalls berichtete während der Rundfahrt von Morddrohungen gegen sein Team. Der kanadisch-israelische Teambesitzer Sylvan Adams sagte, dass ihn zwischendurch der Chef des Vuelta-Organisators "Unipublic" gebeten habe, das israelische Team von der Rundfahrt zurückzuziehen. "Aber ich habe ihm mitgeteilt, dass ich das nicht tun werde", sagte Adams.
Mehrmals störten Protestler die Vuelta. Die Menschen mit propalästinensischen Flaggen am Straßenrand bestimmten die Rundfahrt. Die elfte und letzte Etappe der 80. Ausgabe endete ohne Tagessieger. Die Vorfälle dürften die Radsport-Welt ohnehin in Alarmbereitschaft versetzen. Der volksnahe Straßensport hat durch die wiederholten Störaktionen der Demonstranten Grenzen aufgezeigt bekommen. Teils brachten die Störer die Radprofis bei voller Geschwindigkeit auch in Gefahr.
Kwiatkowski: "Beim nächsten Mal wird es nur noch schlimmer"
"Von nun an ist jedem klar, dass ein Radrennen als effektive Bühne für Proteste genutzt werden kann, und beim nächsten Mal wird es nur noch schlimmer, weil jemand es zugelassen und weggesehen hat", sagte der polnische Vuelta-Teilnehmer Michał Kwiatkowski auf X.
Auch Maximilian Schachmann sorgt sich um seinen Sport. "Der Radsport steht für friedlichen Umgang unter den Fans und den Fahrern. Das habe ich immer als etwas Besonderes und Positives empfunden. Und ich hoffe einfach, dass das jetzt nicht kaputtgeht", sagte er. "Unser Stadion sind die öffentlichen Straßen", fügte er hinzu. Die Strecke einzuzäunen, sei "einfach unmöglich".
Offen bleibt auch, ob die Vorkommnisse einen Einfluss auf die Tour de France im kommenden Jahr haben werden. Denn die 113. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt wird in Barcelona starten.
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