Erst Weltmeister, jetzt auch Europameister: Die deutschen Basketballer sind einfach nicht zu stoppen. Trotz Verletzungsproblemen und einer emotionalen Bundestrainer-Geschichte. Dennis Schröder macht unfassbare Dinge.
Dennis Schröder brach zusammen. Nicht körperlich, nein, emotional. Was hatte der deutsche NBA-Star an diesem Sonntagabend für ein Spiel erlebt. Er hatte seine Nationalmannschaft auf den letzten Metern gegen die herausragend guten Türken zum Europameistertitel geführt (88:83) und weinte hemmungslos. Basketball-Deutschland hatte sein nächstes Wunder. Wobei, Wunder? Nein, der deutsche Basketball ist internationaler Goldstandard. Auch wenn es immer noch komisch klingt. Und Schröder ist der Kapitän, der Anführer. Der Mann für die großen Momente, der "Killer von Manila", der sein Team vor zwei Jahren zum WM-Titel führte.
Dass er an diesem Sonntagabend in Riga erneut in diese Rolle wuchs, war lange keine ausgemachte Sache. Schröder wirkte gegen die Türken, gegen deren atemberaubend bissige Verteidigung, lange gehemmt. Er trieb den Ball nach vorne, fand aber keine Lücken für seinen gefürchteten Drive in die Zone. Er hatte sich offenbar früh im Finale am Ellenbogen verletzt und schien so nicht im Vollbesitz seiner Kraft zu sein. Doch das deutsche Team hatte bislang allen Rückschlägen getrotzt. Schon vor dem Turnier musste die Mannschaft die bitteren Absagen von Weltmeister Moritz Wagner und NBA-Champion Isaiah Hartenstein verkraften. Und nun taten sie es wieder.
So viele deutsche Heldengeschichten
Der risikoscheue und nicht fehlerfreie Schröder organisierte den Aufbau, spielte den Ball lange Zeit nur weiter. Der 31-Jährige kam bis zur Pause nur auf zwei Zähler. Er sah stattdessen, was seine Kollegen machten. Und sie machten es gut. Franz Wagner war zur Stelle, wie immer. Der NBA-Riese attackierte unermüdlich, steckte viel ein, teilte viel aus. Isaac Bonga, einst für die NBA als zu leicht befunden, machte vielleicht das Spiel seines Lebens. Er verteidigte wie wahnsinnig und schmiss die Dreier rein, nicht einmal warf er daneben. Er bewarb sich so für eine NBA-Rückkehr. Es waren so viele Heldengeschichten in der Mache. Auch die von Johannes Thiemann, der unter den Körben die Mega-Aufgabe hatte, sich Alperen Sengün in den Weg zu stellen. Er machte das vorzüglich. Oder jene von Tristan da Silva, dem NBA-Rookie, der mit Eis in seinen Venen wichtige Dreier versenkte.
Aber am Ende war es doch wieder Schröder, der die wichtigsten Dinge erledigte. Bereits mit einem Double-Double unterwegs (10 Punkte und 10 Assists), übernahm er die Verantwortung. Zum ersten Mal explodierte er gegen Sengün, das auch in diesem Finale kaum zu bremsende Monster am türkischen Brett. Schröder nahm Tempo gegen den Riesen auf, zog vorbei und legte den Ball extrem hoch ans Brett. Sengün konnte nicht blocken, der Ball sank durch die Reuse. Das Finale hatte längst die Höchsttemperatur erreicht. Es war hinreißend schön, episch. Die Türken hatten alles reingeworfen. Sie hatten diesen unglaublichen Sengün, den gnadenlos galligen und schnellen Shane Larkin und einen siedend heißen Cedi Osman. Der knallte los, als müsste er der Welt in diesem Spiel alles beweisen. Was Quatsch war.
Schröder düpiert Superstar Sengün gleich zweimal
Osman ist ein großartiger Spieler, ein fantastischer Schütze. Und so spielte er auch. Deutschland wurde eiskalt erwischt, lag nach nicht mal drei Minuten mit 2:13 hinten. Auszeit, Umstellung. Die Verteidigung wurde bissiger, die Schützen standen nicht mehr alleine. Wagner war da, Bonga auch. Sie trugen das DBB-Team, das erneut von Assistent Alan Ibrahimagic gecoacht wurde. Der immer noch sichtlich von seiner schweren Krankheit gezeichnete Bundestrainer Alex Mumbru half, wie er nur kann. Was für eine emotionale Geschichte, die diese Mannschaft auch durch das Turnier trug. Die Situation sei für ihn "sehr verrückt" gewesen, sagte Ibrahimagic, "ich bin sehr glücklich, dass es geklappt hat. Die Generation, das sind Ausnahmespieler, Ausnahmemenschen." Er hofft indes, dass Mumbrú bald wieder übernimmt: "Ich wünsche mir nichts mehr, als dass er ganz gesund wird."
Auch für Mumbru wollten die Deutschen das Ding im Finale ziehen. Wollten sie nicht mehr "nur" Weltmeister sein, sondern auch Europameister. Sie sind das Beste, was der deutsche Basketball je zu bieten hatte. Trotz eines Dirk Nowitzki, der wohl auf ewig die größte Legende bleibt. "Europameister!!!!", schrieb der auf X. Nowitzki selbst war nie ein großer Titel mit dem Nationalteam vergönnt. Die Dimension dessen, was das aktuelle Team geleistet hat, ist gigantisch. Nicht nur gab es den ersten EM-Titel seit 32 Jahren, es war auch die dritte Medaille im vierten Jahr für diese goldene Generation. Dazu darf sich Deutschland erst als vierte Nation nach der Sowjetunion, Jugoslawien und Spanien gleichzeitig Welt- und Europameister nennen.
Schröder ist Nowitzkis Erbe. Aber ein ganz anderer Typ. Nicht der Gentleman wie das "German Wunderkind" aus Würzburg. Schröder provoziert mehr, polarisiert. Er kämpft um die Anerkennung und macht daraus kein Hehl. Nun hat er zwei riesige Titel gewonnen, wurde sogar Turnier-MVP. Vielleicht auch deshalb, weil er in den letzten Minuten so aufdrehte, weil er Top-MVP-Kandidat Sengün zweimal düpierte. Mit seinem hohen Lay-Up und mit einem Wurf aus der Mitteldistanz, am Mann, hoch angesetzt, knapp über den drohenden Block geworfen. Der Wurf zu Gold. Die völlig plattgespielten Türken verpassten auf der Gegenseite. Rebound Schröder, Foul, zwei Freiwürfe und der Sack war zugebunden. Die letzten Sekunden liefen runter. Und Schröder der Welt davon.
"Europameister und Weltmeister, das ist legacy"
Am eigenen Korb feierte das DBB-Team. Aber der Spielmacher rannte einmal über das Feld, dem Ball hinterher. Er nahm ihn auf, knuddelte ihn, dann brach er in sich zusammen. Sank mit Tränen in den Augen in die Arme seines Freundes Daniel Theis und dann auf die Knie. Er weinte hemmungslos, was für große, was für emotionale Momente. Es fiel alles von ihm ab. Der sportliche Druck, es wieder allen beweisen zu wollen. Der NBA-Star, der in Amerika nie ein festes sportliches Zuhause gefunden hatte, kämpfte aber auch gegen die Zweifel, er kämpfte für sich, für seinen Ruf, sein nationales Standing. Und gegen wiederkehrende rassistische Anfeindungen. "Er ist ein tougher Leader. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Alles, was er macht, ist für den Erfolg und für die Gruppe. Jemanden wie ihn im Team zu haben, ist ein wichtiger Schlüssel für den Erfolg", sagte Tristan da Silva.
Das Team feierte Schröder und der feierte das Team. Jeder hatte seine Aufgabe erledigt. Theis einen superwichtigen Dreier in den Schlussminuten versenkt. Es war sein einziger Korb in diesem Spiel, in dem er sich vor allem an Sengün abgearbeitet hatte. Andreas Obst, der Superschütze, knallte ebenfalls ein superwichtiges Ding aus der Ecke rein. Schröder hatte seine Kollegen jeweils gesehen. Der einst arrogant wirkende und immer wieder provozierend agierende Spielmacher wirkt nicht nur als Sportler exrem gereift - sondern auch als Mensch. Forderte er vor zwei Jahren nach dem WM-Gold noch bissig seinen Respekt ein, geriet diese Pressekonferenz fast zu einer lockerem Plauderei mit seinem kleinen Sohne, bei der der große Schröder gezielt seine ambitionierten Botschaften verkündete. "Es ist ein Privileg für mich, Deutschland zu repräsentieren. Wir haben so viele großartige Typen. Ich habe versucht, Deutschland im Basketball auf die Landkarte zu bringen."
Europameister und Weltmeister, "das ist legacy (Anmerk d. Red.: unser Vermächtnis). Das wird uns nie wieder genommen. Wir sind das beste Team, in dem ich je gespielt habe", befand Schröder. "Es war ein sehr schwieriges Spiel für mich. Meine Mitspieler haben mir die ganze Zeit gesagt: wirf weiter, wirf weiter! Am Ende konnte ich ein paar Dinger reinmachen." Und was für welche. Nach Christian Welp 1993 und Dirk Nowitzki 2005 ist es das dritte Mal, dass die MVP-Ehre einem Deutschen zuteil wird. Aber Schröder wollte sie nicht alleine für sich in Anspruch nehmen: Er müsse, sagte er, die Trophäe mit Franz Wagner teilen. "Er war eigentlich der beste Spieler von uns." Der Preis gehöre "auch Franz".
Und der sieht Deutschland noch lange nicht am Ende: "Deutschland ist im Basketball Welt- und Europameister. Wir sind genau da, wo wir hingehören - und wir haben noch ein paar echt gute Leute zu Hause sitzen." Unter anderem seinen Bruder Moritz, den er in Kalifornien zu Tränen rührte, als er bei der Siegerehrung dessen Trikot überstreifte. "Ey Mo, werde einfach gesund. Und dann holen wir dieses Ding nochmal. Ich sag es, wie es ist", sagte Franz bei MagentaSport. "Wir vermissen dich, Bro. Auf jeden Fall wird ein Bierchen für dich mitgetrunken."
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