Seit Tagen schon verwandelt sich die berühmte Promenade des Anglais mit Sonnenaufgang in einen Laufsteg der besonderen Art. Hier auf der Strandpromenade Nizzas, wo stets Spaziergänger, Sonnenbader, Jogger und Radler umgeben von Palmen und Luxushotels auf der einen und dem Mittelmeer auf der anderen Seite die Zeit genießen, tummeln sich nun noch ultrafitte Athleten zwischen 18 und 80. Triathleten, genauer: Eisenmänner.
Etwa 2500 Altersklassen-Athleten aus 86 Ländern und knapp 60 Profis sind an die Côte d’Azur gereist, um hier bei der Ironman-WM anzutreten. Während die Frauen am 11. Oktober auf Hawaii ihren Champion suchen, starten die Männer am Sonntag ab 7.05 Uhr auf die 3,86 Kilometer lange Schwimmstrecke, gefolgt von 180,2 Kilometern auf dem Rad und einem Marathon (Liveticker bei welt.de, im TV beim Hessischen Rundfunk und auf sportschau.de). Der Titelverteidiger kommt aus Deutschland: Patrick Lange, mit 39 der älteste unter den Topfavoriten und dreimaliger Hawaii-Champion.
Nachdem die Ironman-WM seit 2023 nach Geschlechtern örtlich und zeitlich getrennt wird, ist dieses Konstrukt ab 2026 wieder Geschichte, und es geht zurück zur Tradition: ein gemeinsamer Renntag auf Hawaii für alle. Damit suchen die Männer nach 2023, als der Franzose Sam Laidlow vor Lange siegte, nun zum zweiten und letzten Mal ihren Profi- sowie die Altersklassen-Weltmeister in Nizza. Und bei den Profis ist Lange nicht der einzige Deutsche, der vorn mitmischen will.
Mit zehn qualifizierten und acht startenden Profis (Johannes Vogel und Andreas Dreitz sind verletzt) ist Deutschland auf dem Kurs mit der anspruchsvollen Radstrecke – 2400 Höhenmeter und technische Abfahrten – am stärksten vertreten. Zu den großen Mitfavoriten zählt außer Lange zwar keiner von ihnen, aber beim Stelldichein der Topleute am Freitag nannten Laidlow, Lange und Norwegens Triathlon-Star Kristian Blummenfelt alle denselben Namen als Geheimfavoriten: Jonas Schomburg.
Für einen Coup samt Rekord sorgte zuletzt zudem Finn Große-Freese, der Jüngste im Feld. Er will und könnte definitiv für Akzente sorgen. Und auch Jan Stratmann hat in Nizza einiges vor.
Jonas Schomburg, 31: Der Überraschungs- und Harakiri-Mann
Niemand, wirklich niemand hat mit ihm gerechnet. Nicht mal er selbst. Denn eigentlich war eine Langdistanz-Karriere gar nicht geplant – Schomburg tritt normalerweise auf der deutlich kürzeren olympischen Distanz an. Die Spiele von Paris mit Rang 24 und seiner Nicht-Nominierung für die spätere Gold-Staffel gerieten aber zur Enttäuschung. Eher zufällig, weil er in der Nähe trainierte und seine Schwester besuchte, nahm er dann im März beim Ironman Südafrika teil – und wurde ohne große Trainingsumstellung Dritter.
Schomburg ist also sowohl Neuling, als auch erfahrener Athlet. In die Schlagzeilen schaffte er es dann in Frankfurt, als sein Lenkeraufsatz brach und er in Führung liegend aufhören musste. Kurz danach belegte er in Roth hinter Frankreichs Weltklasse-Mann Sam Laidlow Rang zwei und ließ endgültig aufhorchen. „Die Begeisterung für Triathlon ist mir ein bisschen in die Wiege gelegt worden“, sagt er und spielt auf seinen Vater Arnd an, der früher auf der Kurzdistanz aktiv war, ihn früher und auch heute wieder trainiert.
Er ist aufgewachsen mit dem Sport. „Die Situation hat mich nie unter Druck gesetzt, sondern ist eher eine Hilfe“, sagt er. „Ich glaube, da ist Vertrauen eine große Sache – und das hat in der Vergangenheit immer gut funktioniert.“ Sein Training hat er weiterhin kaum umgestellt, sich aber Tipps von erfahrenen Athleten geholt: „Im Moment lerne ich mit meinem Vater zusammen die Langdistanz. Das ist eine Reise, die viel Spaß bringt.“
Auch seine Renntaktik ist wie auf der Kurzdistanz immer noch auf Vollgas ausgelegt. Einerseits mutig, andererseits sehr risikoreich. „Das macht es natürlich als Zuschauer interessant“, sagt Jan Frodeno, „aber er muss es durchbringen.“ Die Gefahr ist, dass Schomburg dem hohen Tempo später im Rennen Tribut zollen muss und einbricht.
Frodeno (44), dreimaliger Hawaii-Champion, beendete vor zwei Jahren mit dem Rennen in Nizza seine Karriere und ist nun als TV-Experte vor Ort. Er ist skeptisch, ob Schomburgs Vollgas-Renngestaltung aufgeht, sagt aber auch: „Ganz klar: Er ist einer der wenigen, dem ich zutraue, dass er die Harakiri-Pace auf dem Rad von Sam Laidlow mitgehen kann.“ Bei Schomburg gilt also: Vieles ist möglich.
Finn Große-Freese, 24: Youngster und Rekordhalter
Zu Beginn dieser Saison war der Youngster finanziell noch auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen, um den Sport als Profi überhaupt betreiben zu können. Das hat sich dank seiner Leistungen zumindest ein wenig geändert: Im Juni feierte Große-Freese in Klagenfurt seinen ersten Ironman-Sieg und vor vier Wochen in Kopenhagen gleich den zweiten – mit deutschem Langdistanzrekord von 7:27:34 Stunden. „Das ist etwas surreal“, sagt Große-Freese über seine Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren. „Ich gehe auch noch ein bisschen unbekümmert an die Sache heran und freue mich, gegen die Großen der Szene antreten zu können.“
Im Nachwuchsbereich noch auf den kürzeren Distanzen unterwegs, gab er 2023 sein Profidebüt beim Ironman Hamburg – weil Legende Frodeno in seinem letzten Karrierejahr dort gemeldet hatte. Mit ihm gemeinsam zu starten, wollte er sich nicht entgehen lassen. Ein Jahr später schon qualifizierte er sich für die WM auf Hawaii, zahlte als 29. aber noch Lehrgeld. Jetzt die ersten zwei Siege. Sein Jura-Studium brach er aus Zeitmangel nun ab, will aber mit BWL beginnen.
Dass Nizza bereits seine fünfte Langdistanz des Jahres sein wird, dürften die meisten für verrückt halten. Kräftezehrend ist es allemal, doch Große-Freese ist optimistisch und sagt: „Ich bin ziemlich heiß auf Nizza.“ Frodeno schätzt ihn als stark ein, sagt aber auch: „Er ist auf seiner Karrierekurve sehr früh dran und wird peu à peu seine Schritte machen. Top Ten wäre auf jeden Fall ein großer Erfolg und ein sehr positiver Schritt in seiner Entwicklung – auch wenn er sicherlich schon von mehr träumt.“
Der Trainer des 24-Jährigen ist kein Unbekannter: Björn Geesmann, der lange Zeit der Coach von Patrick Lange gewesen ist. „Er kann mit den Jungs vorn mitschwimmen“, sagt Geesmann: „Beim Radfahren bringt er immer Druck mit. Wenn er den Fokus behält und nicht ungeduldig wird, kann er auf der Strecke viel Spaß haben und sich mit den Großen messen. Das wird ihm helfen.“
Jan Stratmann, 30: Der Traumjäger mit Killerinstinkt
Als Jan Stratmann früher noch vor allem Fußball im Kopf hatte und sein Vater als Amateur bei Triathlon-Langdistanzen antrat, fand er das zwar faszinierend, dachte aber auch: „Die sind alle irre.“ Erst, als er mit 16 Jahren einen Skiunfall hatte und anschließend in der Reha mit Schwimmen, Radfahren und Laufen begann, stieg er selbst auf Triathlon um. „Für mich war dann schnell klar, was mein Traum ist“, erinnert sich der 29-Jährige: „Mich für die Ironman-WM auf Hawaii zu qualifizieren. Und irgendwann auch ein Wörtchen um den Titel mitzureden.“
Früher, erzählt er, habe ihm sein Ehrgeiz manchmal im Weg gestanden. Doch er habe gelernt, sich generell etwas weniger unter Druck zu setzen. Auch, weil er sich 2022 beim Versuch, dem Profisport und seinem Masterabschluss in Generalmanagement gleichermaßen gerecht zu werden, „mental und körperlich ziemlich gegen die Wand gefahren hat“. Stratmann: „Ich dachte, ich kann alles auf einmal und bin unzerstörbar.“ Er trat auf die Bremse, zog seine Lehren. Alles Schritt für Schritt.
2023 wagte er sich dann an seine erste Langdistanz, im Oktober 2024 folgte der Sieg beim Ironman Barcelona mit Streckenrekord. Auch dank seines starken dritten Platzes bei der Challenge Roth gilt Stratmann als einer der Hoffnungsträger. „Jan kann es mit einem super Rennen auf jeden Fall in die Top 10 schaffen“, sagt Frodeno. Der 29-Jährige selbst hätte in jüngster Vergangenheit noch das Podest als Ziel ausgegeben, doch die vergangenen Wochen liefen nicht ganz rund. „Wenn ich aber Sonntag alles in die Wagschale legen kann“, sagt er, „glaube ich, habe ich weiterhin die Chance, darum zu kämpfen.“
Und spätestens seit Roth weiß er, dass er auf den letzten Kilometern des Laufes noch einmal über sich hinauswachsen kann. „Ich mache mir keinen Sorgen, dass er nicht den passenden Killerinstinkt im Rennen entwickelt“, sagt sein Trainer Björn Geesmann, der ihm die Top Ten auf jeden Fall zutraut: „Und sei es vorher noch so schwierig gewesen im Training – ich habe noch nie erlebt, dass Jan im Rennen nicht alles ausgepackt hat, was er dabeihat.“
Auch Jonas Hoffmann (28), Dominik Sowieja (23), Wilhelm Hirsch (27) und Routinier Paul Schuster (36) gehen am Sonntag an den Start.
Melanie Haack ist Sport-Redakteurin. Für WELT berichtet sie seit 2011 über olympischen Sport, extreme Ausdauer-Abenteuer sowie über Fitness & Gesundheit. Hier finden Sie alle ihre Artikel.
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