Boris Becker war im April 2022 in London zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er seinen Insolvenzverwaltern Vermögenswerte in Millionenhöhe verschwiegen hatte. Er kam im Dezember 2022 frei, wurde umgehend nach Deutschland abgeschoben und darf vorerst nicht in seine frühere Wahlheimat Großbritannien reisen.

In einem Interview mit dem „SZ-Magazin“ spricht der dreimalige Wimbledon-Sieger über die Zeit im Gefängnis. Zunächst war der heute 57-Jährige in Wandsworth untergebracht, später wurde er ins 70 Kilometer von London entfernte Huntercombe verlegt.

Becker über ...

... seine ersten Tage in Haft: „Mein Pech war, dass das Urteil an einem Freitag verkündet wurde und der folgende Montag ein Feiertag war. Ich durfte meine Zelle nur einmal am Tag verlassen, für eine Stunde zum Mittagessen. 23 Stunden lang war ich mutterseelenallein und hatte Angst, und das drei Tage lang.“

... die Frage, was ihm anfangs am meisten zugesetzt habe: „Die Schreie in der Nacht. Als ob Menschen um ihr Leben schreien. Das geht die ganze Nacht so (...) Weil sie vor Wut durchdrehen, weil sie sich die Arme aufritzen, weil sie Platzangst haben, weil sie Aufmerksamkeit wollen, weil sie Rache schwören. Das weiß ich heute. In den ersten Nächten dachte ich, die wollen sich alle selber umbringen.“

... den Umstand, dass seine Zelle nur drei Kilometer vom Wimbledon-Centre-Court entfernt war: „Drei Kilometer! Sieht man das in einem Film, sagt man: Das kann nicht passieren. Das ist typisch Hollywood. Das ist erfunden. Leider war es bei mir nicht erfunden.“

... die Behandlung im Gefängnis: „In Wandsworth, das korrekt His Majesty’s Prison Wandsworth, also Seiner Majestät Gefängnis, heißt, musste man nackt die Beine spreizen und sich von Händen in Gummihandschuhen untersuchen lassen, Eier, Penis, Rektum. Ich musste lachen und fragte: ,Was suchen Sie da eigentlich?‘ Die Antwort war: ,Sie wären überrascht, was wir da alles finden, von Bargeld bis Drogen.‘“

... den Alltag: „Dein schlimmster Feind im Gefängnis ist die Zeit, die einfach stehen bleibt. Dieses Endlose zerfrisst deine Seele und kocht deinen Verstand weich. Wenn du aus der Zelle kommst, beginnt der Kampf ums Überleben. Wenn du in deine Zelle zurückgehst, verschluckt dich die Einsamkeit (...) Es gab aber nur um die 75 Wärter. Die können dir unmöglich Schutz geben. Man merkt sehr schnell, dass Gefängnisse in Wahrheit von Gefangenen kontrolliert werden. Wer es nicht schafft, sich einer Gruppe von harten Jungs anzuschließen, hat keine Chance.“

... die Zustände im Gefängnis: „Wandsworth ist in ganz England berüchtigt: Überfüllung, Personalnot, ungenießbares Essen, Feuchtigkeit, Moder in den Ecken, Schimmel und Spinnweben an den Decken, verdreckte Toiletten, Kälte. Als es Oktober wurde, habe ich in Trainingsanzug und Socken geschlafen. In manchen Nächten war es in meiner Zelle so kalt, dass ich in zwei Jacken und zwei Paar Socken schlief und mir ein Handtuch um den Kopf wickelte.“

... eine Pokerrunde mit rumänischen Häftlingen, bei der er 500 englische Pfund verlor: „Klar war es dumm und töricht von mir, mit solchen Leuten Poker zu spielen, aber ich wollte in meinem Buch bei der Wahrheit bleiben, sonst macht es keinen Sinn, eins zu schreiben. Besonders an Wochenenden weißt du oft nicht, wie du die Zeit rumbringen kannst. Nach dem Tennis habe ich eine Zeitlang professionell Poker gespielt und dachte deshalb, was kann mir schon groß passieren? Es geht doch nur um ein kleines Vergnügen am Rande. Aber ich habe mit richtigen Verbrechern gepokert, die in meine Zelle kamen und mir eins über die Nase geben wollten, wenn ich nicht zahle. Hätte ein Freund außerhalb des Gefängnisses das Problem nicht mit einer Überweisung gelöst, würde ich heute anders aussehen.“

... seine Mithäftlinge: „Du willst einschätzen, ob du es mit einem Dieb, Mörder oder Pädophilen zu tun hast. Deshalb ist eine deiner ersten drei Fragen: Was hast du gemacht, dass du ins Gefängnis musstest? Mit der Zeit lernst du, dass die Antwort im seltensten Fall stimmt. Es wird untertrieben und Humbug erzählt, dass sich die Balken biegen. Auch bei den Leuten, mit denen ich mich verbündet habe, stimmte das meiste nicht, was sie über ihr Vorleben erzählten. Ich habe es auch nicht viel anders gemacht, weil ich meine Vorgeschichte kleinhalten wollte. Je länger man drin ist, desto abgestumpfter wird man, was Wahrheit ist oder Lüge. Man glaubt keinem Menschen mehr irgendwas.“

... Nachwirkungen der Haftzeit: „Diese Zeit wirst du nie ganz los. Du nimmst das Gefängnis mit in dein neues ­ Leben. Ich kann nur einschlafen, wenn die Schlafzimmertür komplett geschlossen ist. Im Bett liege ich so nah am Rand, dass ich fast rausfalle. Im Schlaf wird bei mir auch die größte Matratze zu einer schmalen Pritsche. Ich bin kein Psychologe, deshalb kann ich nur sagen, das war vor dem Gefängnis anders.“

... seinen Dämon: „Meiner war immer der 17-jährige Wimbledon-Sieger. Dieser 7. Juli hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Mein Weg wurde vorgezeichnet. Manchmal verfluche ich diesen Tag und wünsche, ich hätte Wimbledon erst mit 23 gewonnen, und dann vielleicht fünfmal und nicht dreimal. Der 17-Jährige, den jeder Deutsche glaubt zu kennen und beurteilen zu können, schaut mich immer noch morgens im Spiegel an (...) Für die Deutschen bin ich für immer eine Art Eigentum. Das macht mein Leben bis heute oft kompliziert und anstrengend. Vor meinem ersten Sieg in Wimbledon gab es in Deutschland nicht viele Helden. Auf mich wurde ein Wunschbild projiziert, mit dem ich innerlich wenig zu tun hatte. Helden sterben gewöhnlich jung. Dass der Nationalheld Boris Becker Schwächen und Fehler hatte und sich weiterentwickeln wollte, wollte man mir nicht zugestehen.“

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