Gleich zwei Zweitliga-Trainer wundern sich am vergangenen Spieltag über die Länge der Nachspielzeiten. Der DFB ist bemüht, für Klarheit zu sorgen. Auf Anfrage von ntv.de legt der Verband die konkrete Berechnung offen - und erklärt, wie der Entscheidungsprozess ablaufen soll.
Im wörtlichen Ausdruck ihrer Emotionen waren Bielefelds Mitch Kniat ("Ich könnte ausrasten, wenn ich über das Thema rede") und Bochums Dieter Hecking ("Ich bin ein bisschen irritiert") zwar getrennt, in der Sache aber zeigten sie sich vereint. Beide artikulierten nach den 1:2-Niederlagen ihrer Klubs am vergangenen Wochenende, wie unzufrieden sie mit der Auslegung der neuen Nachspielzeitregel sind.
Kniats Arminen mussten gegen Dynamo Dresden (Highlights auf RTL+) erstaunliche 13 Extra-Minuten nach dem regulären Ende der zweiten Halbzeit abreißen, während Hecking sich nach dem Auswärtsspiel des VfL beim FC Schalke 04 (Highlights auf RTL+) wunderte, dass nach nur drei zusätzlichen Minuten abgepfiffen wurde, "weil in den letzten Wochen so viel Nachspielzeit gegeben wurde". Hecking forderte deshalb vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) "Einheitlichkeit" ein, während Kniat mangelnde Klarheit beklagte: Bei Hand- und Foulspiel sei er bereit, mit Grauzonen zu leben, bei der Nachspielzeit eher nicht.
Auf Anfrage von ntv.de zeigt sich der DFB offen, diese Klarheit zu schaffen - und stellt die Daten zu den Nachspielzeiten der oben erwähnten Spiele zur Verfügung. Zunächst aber legt Schiedsrichtersprecher Alex Feuerherdt dar, nach welchen Maßgaben die Nachspielzeit seit dieser Saison ermittelt wird: "Für jeden Wechselslot und jedes Tor werden grundsätzlich pauschal 30 Sekunden veranschlagt - es sei denn, der tatsächliche Wert weicht deutlich davon ab." Ausgiebiger Torjubel dürfte ebenso darunter fallen wie Auswechslungen, bei denen Profis quasi vom Platz geschoben werden müssen.
"Technische Nachspielzeit" ist "empfohlene Mindestnachspielzeit"
In Abgrenzung zu diesen Pauschal-Zuschlägen wird laut Feuerherdt "die Zeit, die für Verletzungsunterbrechungen, On-Field-Reviews, längere VAR-Checks und äußere Einflüsse [...] verloren geht, in Echtzeit nachgespielt". Als äußeren Einfluss nennt er beispielhaft Pyrotechnik oder Personen auf dem Feld, also Flitzer. Der VAR-Assistent sammele all diese Zeiten in beiden Halbzeiten und ermittele daraus jeweils die sogenannte "technische Nachspielzeit". Nach Absprache mit dem Video-Assistenten, ob Rechnung und Ergebnis zum Spiel passen, "teilt er dem Schiedsrichter über Funk die empfohlene Mindestnachspielzeit mit".
Feuerherdt betont, dass es sich dabei jedoch nur um eine Empfehlung handele: Wie lange über die 45. und 90. Minute hinaus gespielt wird, lege allein der Schiedsrichter auf dem Rasen fest. Dieser könne beispielsweise dann über die Empfehlung hinausgehen, "wenn er den Eindruck hat, dass ein Team sich bei Spielfortsetzungen besonders viel Zeit lässt." Also bei Einwürfen, Frei- oder Abstößen. Der Schiedsrichter funke dann seine finale Entscheidung an den Vierten Offiziellen, der sie per Anzeigetafel verkündet. Diese angezeigte Nachspielzeit sei insofern bindend, als dass sie nicht unterschritten werden darf - eine Verlängerung ist aber jederzeit möglich.
Mit diesen grundsätzlichen Erläuterungen ist nachzuvollziehen, wie die Schiedsrichter auf Schalke (3 Minuten) und in Bielefeld (11 Minuten angezeigt, 13 gespielt) zu ihren grundlegend unterschiedlichen Einschätzungen gekommen sind. In Gelsenkirchen "gab es in der zweiten Halbzeit bis zum Ende der regulären Spielzeit drei Wechselslots und drei Tore, aber keine weiteren längeren Spielunterbrechungen", führt Feuerherdt aus. 30 Sekunden pro Wechselslot und pro Tor wurden somit addiert und "deshalb lag die technische Nachspielzeit bei drei Minuten." Für diese entschied sich dann auch der Schiedsrichter auf dem Feld.
Für die Partie in Bielefeld lautet die Rechnung: Sechs Wechselslots plus ein Tor vor der 90. Minute ergibt dreieinhalb Minuten, dazu schlagen laut Feuerherdt "Verletzungsunterbrechungen mit zwei Minuten sowie VAR-Eingriffe und längere VAR-Checks - nach der Roten Karte und dem Abseitstor - mit fünfeinhalb Minuten" zu Buche. Macht insgesamt elf Minuten, die so auch in Ostwestfalen angezeigt wurden, ehe kurz vor deren Ablauf das von Gästen massiv bejubelte 2:1 für Dresden fiel. Daraufhin wurde noch einmal über die eigentlich vorgesehenen 30 Extra-Sekunden hinaus verlängert.
30 Sekunden pro Tor wirken bei Schalke gegen Bochum etwas knapp bemessen
"Dass die Länge der Nachspielzeiten variiert, manchmal sogar deutlich", sagt Feuerherdt, "liegt also daran, dass sich die Zahl und Dauer der Spielunterbrechungen logischerweise von Spiel zu Spiel unterscheiden können. Um hier Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit zu schaffen, gibt es die erwähnten Festlegungen, die auf Zahlen und Fakten basieren." Für das Spiel in Bielefeld kommen diese Annahmen recht gut hin, weil die lange Nachspielzeit zum Großteil aus langen VAR-Checks für ein zurückgenommenes Tor und die diskutable Rote Karte resultiert.
Für das Derby zwischen Schalke und Bochum dagegen wirken die 30 Sekunden pro Tor angesichts der Jubelszenen zu knapp bemessen. Dazu kommt, dass gerade in der Schlussphase die Schalker sich mit Führung im Rücken viel Zeit bei Spielfortsetzungen ließen. Was vielleicht auch deshalb nicht die Nachspielzeit beeinflusste, weil der Punkt "Zeitspiel" in der Aufzählung der Dinge fehlt, die einbezogen werden sollen.
Die transparente Berechnung der Extra-Minuten ist ein Schritt in die richtige Richtung, um mehr Verständnis herzustellen. Sinnvoll erscheint allerdings, die neue Regelung in naher Zukunft zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Oder deren Auslegung. Ein naheliegender Ansatz auf der Suche nach mehr Akzeptanz dürfte sein, dass die Schiedsrichter aus ihrer Analyse des Wochenendes die Erkenntnis ziehen: Bei einem Spielverlauf wie auf Schalke lohnt es sich, auf die "technische Nachspielzeit" noch ein wenig draufzulegen.
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