So richtig viel gesehen hat Lukas Kwasniok von Köln noch nicht. Doch ein Gefühl für die Stadt, vor allem aber für die Menschen, die dort leben, glaubt er schon entwickelt zu haben. „Köln ist eine Metropole, aber mit dem Herz eines Dorfes“, sagte der neue Trainer des 1. FC Köln.

Dies ist als Kompliment zu verstehen. Die Kölner seien sehr offen und vor allem: Sie haben großes Interesse an ihrem Verein, dem FC, sowie auch an ihm selbst. Viele hätten sich sogar angeboten, ihm bei Wohnungssuche zu helfen.

Das Problem ist mittlerweile gelöst. Kwasniok, der das Hotelleben hasst, hat für seine Familie und sich eine Bleibe gefunden – auch wenn einige Vermieter, die er kontaktiert hatte, auf einer Mindestmietdauer von zwei Jahren bestanden hatten. Die zu erfüllen, könnte unter Umständen nicht ganz so einfach sein.

Von den zwanzig Trainern, die in den vergangenen 15 Jahren vor Kwasniok beim FC waren, schafften es lediglich zwei, es länger als zwei Jahre auszuhalten: Peter Stöger brachte es auf 1616 Tage. Und Steffen Baumgart hatte im Dezember 2023 nach 913 Tagen, also nach zweieinhalb Jahren, seinen Hut nehmen müssen.

Kwasniok, dessen Dienst offiziell am 1. Juli begonnen hat, hat noch etwas mehr als 1000 Arbeitstage vertraglich garantiert. Doch was heißt das schon? Die fast schon sprichwörtliche Unruhe, die den Traditionsverein umgibt, ist verbürgt.

Kwasniok sagte seiner Frau: „Der FC hat angerufen“

Trotzdem hatte der 44-Jährige nicht lange nachdenken müssen, um die Herausforderung anzunehmen. „Wenn du die Möglichkeit hast, den FC zu übernehmen, dann überlegst du nicht“, sagte er. Als ihn der Anruf erreicht habe, sei es nicht einmal nötig gewesen, sich mit seinem engsten Umfeld auszutauschen. „Der FC hat angerufen“, habe er zu seiner Frau Anna gesagt. Die hätte nur geantwortet: „Machen!“

Kwasniok brennt vor Ehrgeiz. Er genießt es, nach Stationen beim Karlsruher SC, Carl-Zeiss Jena, dem 1. FC Saarbrücken und dem SC Paderborn endlich in der ersten Bundesliga angekommen zu sein – noch dazu bei einem solch „bombastischen Verein.“

Seine ersten Arbeitswochen verbrachte er, wenn er nicht gerade auf dem Trainingsplatz stand, damit, viele Gespräche zu führen. Kwasniok redete nicht nur mit den Spielern, sondern mit nahezu allen Klub-Mitarbeitern; mit den Fans, den Journalisten – mit nahezu allen Menschen rund um den Verein. Er wollte sich ein möglichst umfassendes Bild machen. „Leading by walking around“ nennt er das – führen durch Herumlaufen.

Es könnte ein anspruchsvoller Spaziergang werden, auf den sich Kwasniok eingelassen hat. Denn auch wenn die Erleichterung groß ist, dass es der 1. FC Köln nach nur einem Jahr in der zweiten Liga wieder nach oben geschafft hat: Es kann schnell passieren, dass die Euphorie verpufft und die sehr wahrscheinlich drohende Realität des Abstiegskampfes die Stimmung eintrüben könnte.

Das Auftaktspiel am Sonntag beim 1. FSV Mainz 05 (15:30 Uhr/live DAZN) ist ein gutes Beispiel, wie weit Anspruch und Wirklichkeit im Denken weiter Teile des Kölner Anhangs auseinandergehen.

Während manch FC-Fan den Gegner auf Augenhöhe wähnt, liegen Welten zwischen den Vereinen: Hier die Mainzer, seit 16 Jahren ununterbrochen erstklassig und aktuell in der Qualifikation zur Conference League beschäftigt, deren Marktwert von transfermarkt.de auf 138,58 Millionen Euro taxiert wird. Und dort die Kölner Fahrstuhlmannschaft, die es mit 78,68 Millionen gerade mal auf die gut die Hälfte bringt. „Wir fahren als Underdog dorthin“, sagte Kwasniok.

„Wir sind gezwungen, einen extrem guten Job zu machen, um in der Bundesliga zu bleiben“, so Thomas Kessler. Der FC-Sportdirektor war mit Kwasniok federführend für die Kaderplanung. Das Duo war in der vergangenen Wochen sehr aktiv. Zehn neue Spieler wurden geholt – es gab Zugänge für alle Mannschaftsteile.

Isak Jóhannesson kostete 5,5 Millionen Euro

Das Team hat eine komplett neue zentrale Achse bekommen. Mit Rav van den Berg wurde für acht Millionen Euro ein neuer Innenverteidiger vom englischen Zweitligisten FC Middlesbrough geholt, mit Isak Jóhannesson ein Mittelfeldstratege (5,5 Millionen Euro) von Fortuna Düsseldorf und mit Ragnar Ache ein Mittelstürmer (4,5 Millionen) vom 1. FC Kaiserslautern. Auch Cenk Özkacer, Tom Krauß und Marius Bülter könnten helfen, Erstliga-Niveau zu erreichen.

Allerdings gab es auch Nachholbedarf. Die Kölner waren bis vor dem Transferfenster im vergangenen Winter mit einer Transfersperre belegt – zudem mussten mit Max Finkgräfe, Tim Lemperle und Damian Downs gleich drei Stammkräfte aus der Aufstiegsmannschaft abgegeben werden.

„Wir haben jetzt durch den Aufstieg natürlich bessere wirtschaftliche Möglichkeiten. Die haben wir genutzt, um die Qualität zu erhöhen und auch den Konkurrenzdruck innerhalb des Kaders“, erklärte er. Es könnte sein, dass sich bis Monatsende noch mehr tun wird – allerdings nur, wenn es gelingen sollte, den Kader, der aktuell 25 Feldspieler umfasst, auszudünnen.

Denn Kwasniok legt Wert auf Homogenität. Deshalb strich er einen Tag vor dem Bundesliga-Auftakt mit Imad Rondic, Leart Pacarada und Jacob Christensen drei Spieler aus dem Aufgebot. Das Trio, das bereits beim Pokalspiel in Regensburg (2:1) unberücksichtigt blieb, spielt in den Planungen keine Rolle mehr. Deshalb ergebe es wenig Sinn, sie weiter mit der Mannschaft trainieren zu lassen.

Nur so, glaubt er, lasse sich ein Teamspirit kreieren. Und auf den werde es besonders ankommen – gegen Mannschaften, die fast ausnahmslos qualitativ besser sein werden. „Wir können nicht jeden Gegner an die Wand nageln“, sagte er: „Aber wir können dafür sorgen, dass die Leute, wenn sie nach dem Spiel nach Hause gehen, sagen können: Die haben alles gegeben.“

Oliver Müller berichtet seit Jahrzehnten für WELT über Fußball. Er ist zudem Podcaster und spezialisiert auf die Klubs aus dem Westen Deutschlands.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke