Deutschlands Sportchef Thomas Weikert, 63, hatte gut lachen. Kein Wunder, angesichts der Erfolgsbilanz des „TEAM D“ bei den am vergangenen Wochenende in Chengdu beendeten 12. World Games. Mit 45 Medaillengewinnen erwies es sich bei den Spielen der nichtolympischen Sportarten hinter Gastgeber China (64) als zweitbeste Nation. Nach der Rückkehr der Mannschaft sprachen wir den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an seinem Hauptsitz in Frankfurt/Main. Sein Büro mit Blick auf das Bundesliga-Stadion der Eintracht-Fußballmannschaft befindet sich in der vierten Etage. Während des Interviews verging dem Spitzenfunktionär auch schon mal das Lachen.

WELT AM SONNTAG: Herr Weikert, haben Sie es jemals bereut, dass Sie sich im Dezember 2021 zum DOSB-Präsidenten haben wählen lassen?

Thomas Weikert: Nicht eine Sekunde. Mir war von vornherein klar, dass es neben den vielen schönen Momenten, die sich bieten werden, auch Dinge geben wird, die nicht nur mit leiser Kritik einhergehen – sowohl von außen als auch intern. Durch meine frühere Tätigkeit als Präsident des Tischtennis-Weltverbandes bin ich da aber einiges gewohnt.

WAMS: Die Herausforderungen im deutschen Sport sind jedoch gravierend.

Weikert: Richtig. Viele Sportanlagen sind marode, können nicht genutzt werden. Es fehlt an Schwimmbädern. Zunehmend mehr Kinder leiden unter Bewegungsmangel. Ein schwerwiegender Punkt sind die Trainerinnen und Trainer, wobei es nicht nur um die an der Spitze, sondern vor allem auch um jene an der Basis geht. Wir brauchen mindestens 20 bis 25 Prozent mehr top ausgebildete Trainer.

WAMS: Insofern dürfte Sie die jüngste Ankündigung von Sachsens Innenminister Armin Schuster erfreut haben. Laut dem CDU-Politiker wird es ab dem Semester 2025/2026 an der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig wieder eine akademische Trainerausbildung geben wie zu Zeiten der in der Messestadt ansässigen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), die im Zuge der Wiedervereinigung abgewickelt worden war. Es wäre die einzige Ausbildung dieser Art hierzulande.

Weikert: Absolut, das wäre eine erfreuliche Entwicklung und könnte dabei helfen. Es gibt jedenfalls zu wenige Trainer, und die wenigen werden oftmals schlecht bezahlt. Die Guten wandern dann auch noch ab ins Ausland.

WAMS: Um dem Einhalt zu gebieten, wurde für den familienunfreundlichen Beruf nun schon zum x-ten Mal seit der Jahrtausendwende eine sogenannte Traineroffensive gestartet. Doch passiert ist so gut wie nichts. Zudem klagen Vereine über den Rückgang von Ehrenamtlern wegen der zu geringen steuerfreien Aufwandsentschädigung von jährlich 840 Euro. Bei Sommerspielen gibt es seit dem Auftritt der ersten gesamtdeutschen Mannschaft nach der Wiedervereinigung 1992 in Barcelona immer weniger Medaillen. Der vorläufige Tiefpunkt waren die Spiele in Paris im Vorjahr mit nur 33 Podestplätzen und Rang zehn in der Medaillenwertung. Vergeht Ihnen bei den vielen Problemen nicht die Freude an Ihrer Tätigkeit?

Weikert: Aufzugeben ist keine Option, denn dann erreicht man erst recht nichts. Glauben Sie mir: Ich werde nicht müde, unsere großen Nöte immer wieder bei den entsprechenden Politikern und Entscheidungsträgern laut anzusprechen – steter Tropfen höhlt den Stein. Ich spüre schon, dass wir immer besser Gehör finden. Im Koalitionsvertrag sind unsere drei Hauptforderungen aufgenommen worden: die Bundesmilliarde (eine Milliarde Euro jährliche Investition in Sportinfrastruktur – d.R.), die Unterstützung der Olympiabewerbung und die erstmalige Implementierung einer Sportministerin. Ich stehe mit ihr im engen Austausch.

WAMS: Christiane Schenderlein ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Am Montag war die CDU-Politikerin als Beauftragte der Bundesregierung für Sport und Ehrenamt hundert Tage im Amt. Eine Beziehung zum Sport hatte die 43-Jährige zuvor nicht. Es geht ihr da wie vielen hochrangigen Politikern hierzulande, die nach Wahlen plötzlich Aufgabenbereiche verantworten sollen, für die sie keine Ausbildung besitzen. Ist Schenderlein tatsächlich in der Lage, den deutschen Sport zu reformieren?

Weikert: Es stimmt, sie ist fachfremd. Doch aus unseren bisherigen Begegnungen kann ich nur Positives berichten. Sie ist bei diversen Sportveranstaltungen präsent, sucht den Kontakt zur Basis, lädt zum Gespräch ins Ministerium ein. Sie fragt nach und hört zu, um sich schnellstmöglich in die verschiedensten Themen einzuarbeiten. Und sie hat einen mit guten Fachleuten besetzten Unterbau. Jetzt schon ein Urteil über ihr Wirken abzugeben, wäre viel zu früh. In einem Jahr können wir gern wieder darüber reden.

WAMS: Unüberhörbar ist Ihre Forderung an die Bundesregierung von einer zusätzlichen Milliarde Euro jährlich, die von Bund, Ländern und Kommunen in die Sportinfrastruktur investiert werden soll, unter anderem aus dem Topf des Sondervermögens. Allein im Bereich der Sportstätten-Infrastruktur gibt es einen Investitionsstau von mehr als 31 Milliarden Euro. Hat sich inzwischen etwas getan?

Weikert: Der Sport findet mittlerweile Erwähnung im Gesetzentwurf, das war im ersten Entwurf noch nicht der Fall. Das heißt, Länder und Kommunen dürfen jetzt das Geld auch für die Sportinfrastruktur nutzen. Aber jetzt liegt es auch an ihnen, tatsächlich Teile des Sondervermögens für Sportstätten auszugeben. Andererseits drängen wir auch weiterhin auf die Bundesmilliarde, die im Koalitionsvertrag hinterlegt ist. An der Einhaltung dieses Versprechens werden wir die Bundesregierung messen.

WAMS: Um auch den Unmut in der Bevölkerung nicht noch größer werden zu lassen?

Weikert: Wenn eine Sporthalle saniert oder ein Schwimmbad eröffnet wird, dann spüren die Menschen vor Ort, dass sich etwas zum Besseren verändert. Mit über 28 Millionen Mitgliedschaften ist der DOSB die mit Abstand größte Bürgerbewegung im Lande. Sportvereine sorgen für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Da ließe sich noch so viel mehr zum Guten bewegen. Und deshalb werden wir nicht müde, diese Investitionen einzufordern. Das wird sicherlich auch ein Schwerpunkt unseres neuen Vorstandsvorsitzenden Otto Fricke sein.

WAMS: Der FDP-Politiker und Jurist aus Krefeld tritt am 1. September sein Amt für drei Jahre an.

Weikert: Als langjähriger Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag kennt er sich im Finanzbereich bestens aus. Er ist auch bestens vernetzt und über die Parteigrenzen hinweg sehr angesehen. Ich bin zuversichtlich.

WAMS: Wann werden erfolgreiche Sportler davon durch höhere Prämienzahlungen profitieren? Ein Olympiasieger wird von der Sporthilfe mit 20.000 Euro belohnt. In anderen Ländern gibt es dafür ein Vielfaches mehr.

Weikert: Die Wertschätzung für die Athletinnen und Athleten muss steigen, das steht außer Frage. Im Koalitionsvertrag steht zumindest schon mal, dass die Prämien, die sie von der Sporthilfe erhalten, steuerbefreit sein sollen. Auch eine bessere soziale Absicherung halte ich für sinnvoll.

WAMS: Wobei mehr Geld allein noch keinen Zugewinn an olympischen Medaillen garantiert. Als Grundlage dafür einigte sich die gescheiterte Ampelregierung auf ein neues Sportfördergesetz, dessen Herzstück eine unabhängige Spitzensport-Agentur sein sollte. Wegen des Bruchs der Regierung wurde es aber nie beschlossen. Ist das Thema vom Tisch?

Weikert: Frau Schenderlein sagte zu, dass sie das Gesetz wieder vorantreiben möchte. Das wird sicherlich Zeit benötigen, von heute auf morgen geht das nicht.

WAMS: Gilt das auch für das vor Ihrer Zeit installierte Potenzialanalysesystem, kurz „Potas“, das zu den Kernelementen der damaligen Leistungssportreform gehörte?

Weikert: Davon gehe ich aus.

WAMS: Potas soll die Rahmenbedingungen für die Athleten und deren Sportarten und somit leistungssportliche Erfolge optimieren. Allerdings waren die Erkenntnisse nicht immer zielführend. Vor vier Jahren stand Basketball im Potas-Ranking an letzter Stelle, zwei Jahre später wurden die Männer Weltmeister und im Vorjahr gewannen die 3x3-Frauen olympisches Gold.

Weikert: Es ist schon effizienter geworden, vor allem hat man die bürokratischen Anforderungen verringert. Aber es gibt immer noch einiges Verbesserungspotenzial.

WAMS: Als Potas 2017 eingeführt wurde, hieß es auch, dass die Zahl der Olympia- und Bundesstützpunkte spürbar reduziert werden sollte, um durch eine Konzentration der Finanzmittel und der Athleten mehr Erfolg zu generieren. Die Anzahl der Olympiastützpunkte sollte von 19 auf 13 schrumpfen, aktuell gibt es noch 17. Die 204 Bundesstützpunkte sollten auf 165 gekürzt werden – existent sind derzeit noch 193.

Weikert: Daran wird weiter gearbeitet. Unsere Philosophie beinhaltet nach wie vor die Förderung einer Vielfalt von Sportarten. Anders als beispielsweise in den Niederlanden oder Norwegen, wo nur wenige Sportarten gefördert werden – das allerdings sehr erfolgreich. Die Förderung dieser Vielfalt führt andererseits bei den World Games zu den Erfolgen, die wir jetzt eingefahren haben.

WAMS: Aber bei den Sommerspielen ist die Medaillenausbeute drastisch zurückgegangen. Was nicht verwundert, tritt doch der Leistungsgedanke mehr und mehr in den Hintergrund. In Schulen fallen Benotungen weg, im Kinderfußball soll es die klassischen Ergebnisse und Tabellen nicht mehr geben, bei den Bundesjugendspielen wurden die Platzierungen in den unteren Klassenstufen abgeschafft. Wenn in der Schule ein Unterrichtsfach wegen Lehrermangel ausfällt, betrifft es meistens den Sport. Wohin soll das noch führen?

Weikert: Meine Erfahrung ist, dass Kinder sich miteinander messen wollen, und das ist bei den Bundesjugendspielen immer noch möglich. Was ich viel bedenklicher finde ist, wenn der Sportunterricht ausfällt oder gar keine Bundesjugendspiele durchgeführt werden.

WAMS: Was glauben Sie, wie das „TEAM D“ bei den Winterspielen in Italien und zwei Jahre später bei den Sommerspielen in Los Angeles abschneiden wird?

Weikert: Bei den Winterspielen streben wir an, im Medaillenspiegel unter die ersten drei zu kommen. Und Los Angeles? Da möchte ich mich noch nicht festlegen.

WAMS: Entschlossen sprechen Sie sich indes für eine erneute deutsche Olympiabewerbung aus. Hamburg, Berlin, München und die Region Rhein-Ruhr haben sich dafür in Position gebracht. Sind Sie ungeachtet der zugesagten Unterstützung durch die Bundesregierung wirklich überzeugt davon, dass einer aus dem Quartett den Zuschlag für das weltgrößte Sportevent entweder für 2036, 2040 oder 2044 bekommen wird?

Weikert: Ganz klar, ja. Wenn ich das nicht wäre, würde ich mich dafür als Chef nicht so exponieren. Ich habe mir die vier Konzepte genau angeschaut und muss sagen, dass sie sich bereits im aktuellen Entwicklungsstatus sehen lassen können und den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen. Und die Unterstützung seitens der Politik und auch in der Bevölkerung ist so groß wie nie. Auch das sind wichtige Faktoren im nationalen, vor allem aber auch internationalen Wettbewerb.

WAMS: In der Vorwoche dürften Ihre Bestrebungen einen herben Dämpfer erhalten haben, als die vier betroffenen Landesverbände des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Bewerbung um Olympische Spiele in ihrem Zuständigkeitsbereich strikt ablehnten. Deren Begründung lautet: Die Folgen für Mensch und Natur, für Klima, Stadtentwicklung, Wohnungsmarkt, Verkehr und andere Bereiche wären größtenteils negativ.

Weikert: Ich sehe keinen Dämpfer, denn sie sind grundsätzlich immer dagegen, egal, wie die Konzepte aussehen. Und viele der vorgebrachten Vorwürfe resultieren aus vergangenen Zeiten. Durch den langfristigen Reformprozess des Internationalen Olympischen Komitees gibt es ganz andere Möglichkeiten, das hat auch Paris gezeigt, mit mehr als 50 Prozent Reduktion im CO₂‑Fußabdruck. Wir lassen uns davon also nicht beirren. Alle vier Konzepte haben auf Nachhaltigkeit ein besonderes Hauptaugenmerk gelegt, da das IOC auch gar keine Konzepte mehr akzeptiert, die nicht maximal nachhaltig in allen Bereichen sind.

WAMS: Wäre es nicht sinnhafter gewesen, sich auf einen Bewerber zu einigen, um so die Manpower und Finanzmittel zu bündeln, statt sich in einem Vierkampf aufzureiben?

Weikert: Es geht darum, gemeinsam die beste Lösung für Deutschland zu finden, die dann auch international erfolgreich sein kann. Und wer hätte uns die Garantie gegeben, dass wir mit der Nominierung eines Bewerbers auch die Zustimmung der dortigen Bevölkerung bekommen hätten?

WAMS: Als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 oder die Europameisterschaft im Vorjahr ins Land geholt wurden, gab es doch auch keine Volksbefragung.

Weikert: Das stimmt. Aber die Durchführung eines Referendums ist allein die Entscheidung der Städte und Regionen. Weder DOSB noch IOC fordern dies ein. Aber es gibt auch kein Gesetz, das besagt, dass man Referenden in Bezug auf Olympische und Paralympische Spiele verlieren muss. Die uns aktuell vorliegenden repräsentativen Befragungen stimmen optimistisch. Die bundesweite Zustimmung für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland liegt bei etwa 70 Prozent. Das ist natürlich keine Sicherheit, aber für uns ein Ansporn, den Sport und die Menschen, die für Spiele in Deutschland sind, zu aktivieren und zur Wahl zu motivieren.

WAMS: Welchen Jahrgang der drei ins Auge gefassten Sommerspiele favorisieren Sie?

Weikert: Ich will die Spiele vor allem endlich mal wieder in Deutschland sehen. Und das möglichst bald. Weil sie einen starken, gesamtgesellschaftlichen Impuls auslösen können, den wir in unserem Land dringend benötigen.

WAMS: Denken Sie ernsthaft, dass Sie das hierzulande noch erleben werden?

Weikert: Ja.

WAMS: Auch unter Ihrer Mitwirkung als Sportfunktionär?

Weikert: Das glaube ich weniger. In elf Jahren werde ich kein DOSB-Präsident mehr sein.

WAMS: Werden Sie sich bei der Wahl im nächsten Jahr wieder stellen?

Weikert: Da habe ich mich noch nicht festgelegt. Entscheiden werde ich das im Frühjahr nach den Winterspielen.

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