Die Fußballwelt trauert um einen der markantesten Angreifer der 1980er- und 90er-Jahre: Frank Mill ist im Alter von 67 Jahren gestorben. Ein Pfostenschuss des Ruhrpott-Jungen bleibt unvergessen.
Am 4. November 1995 kehrte Frank Mill für einen Nachmittag nach Dortmund zurück. Zur Borussia. Zu seiner Borussia, der er in seinem ersten Spiel für die Schwarzgelben einen bis heute historischen Fehlschuss schenkte. Mill spielte für Aufsteiger Fortuna Düsseldorf. Das Westfalenstadion, das damals noch Westfalenstadion hieß und nur halb so groß war wie heute, sang sich in einen langen Rausch: "Ihr seid scheiße, außer Fränkie Mill", brüllte ein gewaltiger schwarz-gelber Chor. Frank Mill, den hatten sie im Herzen. Auch wenn er nur Rot-Weiß trug. Es waren die letzten Meter seiner großen Karriere. An diesem Dienstag ist er die letzten Meter seines Lebens gegangen. Im Alter von nur 67 Jahren ist diese Ikone der Fußball-Bundesliga verstorben.
387 Mal lief der kleine Stürmer im Oberhaus auf, 123 Mal traf er. In der ewigen Torschützenliste der Bundesliga liegt er damit knapp vor Ikonen wie Roland Wohlfahrt, Lothar Matthäus oder Miroslav Klose (alle 121). Und doch ist er auf ewig dafür bekannt, ein Tor nicht gemacht zu haben. Zu Beginn der Spielzeit 1986/87 war Mill von der Borussia aus Mönchengladbach nach Dortmund gewechselt. Wenige Wochen zuvor hatte der BVB den Abstieg mit Ach und Krach in der Relegation gegen Fortuna Köln verhindern können. Mill sollte helfen, dass so etwas an der Strobelallee nicht mehr verkommt. Und dann verpasste er den Fans des BVB einen riesigen Schrecken.
"Panik stieg in mir auf"
Am ersten Spieltag ging es nach München, zum FC Bayern. Dortmund lag schnell hinten, dann hatte der kleine Mill seinen großen Moment. Er hat das 1:1 auf dem Fuß, steil geschickt zog er an Torwart-Legende Jean-Marie Pfaff vorbei, das Tor vor ihm war leer. Aber Mill hatte Größeres im Sinn, als ein schnödes Tor zu schießen. "Als ich die Grenze zum Fünfmeterraum passierte, tobten die Fans, als wäre der Ball längst im Tor. Plötzlich kam mir Pierre Littbarski in den Sinn. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich es machen wie er. Littbarski schoss nie einfache Tore", erinnerte sich Mill einmal im Interview mit dem Magazin "11 Freunde".
Der gebürtige Essener schilderte weiter: "Mein Plan: ausholen, den Ball zwischen die Füße klemmen und nach einem Übersteiger elegant einschieben. Noch hatte ich genug Zeit dafür, dann sah ich jemanden im Augenwinkel näher kommen. Es war Pfaff, der mit letzter Kraft vom Strafraumrand zurückwetzte. Panik stieg in mir auf: Jetzt nur noch den Ball im Tor unterbringen." Doch Mill versagten die Nerven. Aus drei Metern traf der Dortmunder nur den Pfosten. "Das war der schlimmste Moment überhaupt: zu begreifen, dass der Ball nicht im Tor lag." Das Spiel endete 2:2, aber ganz Deutschland sprach nur vom Fehlschuss des Jahrhunderts. "An jeder Ecke musste ich mich verarschen lassen", sagte er. "Jede Oma, jede Wurstverkäuferin kennt diese berühmte Szene. Ich bin der, bei dem man denkt: Das ist doch der Fränkie, der in München damals nur den Pfosten traf."
Im US-Urlaub sieht er sich in der Pannenshow
Mills Tor wurde weltweit bekannt. Als er gut ein halbes Jahr nach seinem historischen Fehlschuss in den USA war, sah er zufällig im TV eine amerikanische Pannenshow. Er sah, wie er aus drei Metern am Pfosten gescheitert war. Es war indes nicht der einzige Fehlschuss seiner Karriere. Mill erinnert sich an zwei Spiele, die nicht nur die Fans von Borussia Mönchengladbach nie vergessen werden: die beiden Europapokalpartien 1985 gegen Real Madrid. Nachdem die Borussen die Spanier im Hinspiel mit 5:1 aus dem Düsseldorfer Rheinstadion geschossen hatten, schieden sie durch die 0:4-Niederlage im Rückspiel im Bernabeu-Stadion noch aus.
Nach vorne gepeitscht von wilden Mentalitätsmonstern wie Juanito oder Santillana startete Real im Achtelfinal-Rückspiel des UEFA-Cups eine seiner gefürchteten "Remontadas". Gladbach war komplett verängstigt. Doch dann hatte Mill plötzlich die Chance, er lief fast allein aufs Tor - und schoss ohne Not weit vorbei. Frank Lehmkuhl, der Autor von Mills Biografie, sagte über den heißen Abend in Bernabeu: "Schon auf dem Weg zum Stadion wurde der Bus mit Tomaten und Eiern beworfen. Blanker Hass schlug Mill & Co. entgegen. Zurück in der Kabine sah Frank, wie Kurt Pinkall, ein Verächter von Schienbeinschonern, sich die Dinger festzurrte und die Stutzen drüberzog und sagte: 'Ihr habt gesehen, was da draußen los ist. Ich bin zu jung zum Sterben."
"Der Mill ist mit allen Abwässern gewaschen"
Auch Mill war keiner, der den Schienbeinschoner brauchte. Mill war auf dem Bolzplatz groß geworden, er hatte unzählige Tritte abbekommen, war abgehärtet. Weil er ohne das schützende Ausrüstungsteil auflief, wurde ihm der Spitzname "Hängesocke" verpasst. Wenn damit einer umgehen konnte, dann Mill, der Junge aus dem Pott. Aufgewachsen in der rauen Herzlichkeiten von Altenessen, ging er als 14-Jähriger zum großen Stadtrivalen Rot-Weiss Essen. An der Hafenstraße wurde er ein gefürchteter Torjäger. Ein war ein Schlitzohr, einer, der sich um nichts scherte. Sein ehemaliger Dortmunder Teamkollege Norbert Dickel sagte einmal über ihn: "Der Mill ist mit allen Abwässern gewaschen." Dickel meinte es aus tiefstem Herzen, ehrlich, nett. Das ist die besondere Charmanz des Ruhrgebiets. Mill war ein feiner Fußballer und ein feiner Kerl, einer, der den Fußball der Essener Straßen in sich und in die Bundesliga trug. Beide wurden 1989 Pokalsieger, Mill ein Jahr später noch Weltmeister. Beim Turnier in Italien kam er aber nicht zum Einsatz und sagte einmal: "Eigentlich bin ich kein Weltmeister."
Der Titel mit dem BVB war ihm wichtiger, weil er ein Protagonist war und nicht nur Kaderspieler ohne Einsatz. Er erzielte im Pokalfinale das 2:1 beim 4:1-Sieg gegen Werder Bremen. "Er war einer meiner Helden. Ohne Frank Mill wäre Borussia Dortmund 1989 nicht Pokalsieger geworden und würde heute nicht da stehen, wo wir stehen", sagt Dortmunds Präsident Reinhold Lunow. Auch Hans-Joachim Watzke, der Vorsitzende der BVB-Geschäftsführung, trauert mit guten Erinnerungen. "Fränkie war ein Schlitzohr auf dem Rasen und ein wunderbarer Gesprächspartner außerhalb des Spielfelds. Als er 1986 zu uns kam, ging es bergauf."
In seiner Biografie gab Mill auch zu, einst vor einem Bundesligaspiel zu einer verbotenen Dopingtablette gegriffen zu haben. Mit Whiskey soll er sie runtergespült haben.
"Auf ewig verewigt - was bedeutet das schon?"
International feierte Frank Mill noch weitere Erfolge. Er war Teil der Olympia-Kader 1984 (Los Angeles) und 1988 (Seoul), wo er mit der deutschen Mannschaft Bronze gewann und als Rekordspieler und Rekordtorschütze im Olympia-Team in Erinnerung blieb. Viele Jahre vor diesem speziellen Freudentag hatte Mill schon auf diesen Platz auf dem Podest hingearbeitet. In seiner Abschlussarbeit als Florist (!) präsentierte der Sohn eines Schrottplatzbesitzers einen komplett in Rot und Weiß gehaltenen Siegerpodest, "erstellt aus geflochtenen, wunderbaren Blumen. Thema: Olympische Spiele." Das musste mal in dieser rauen Welt auch wollen.
17-mal spielte Mill zwischen 1982 und 1990 für die deutsche A-Nationalmannschaft, nur bei der Heim-EM 1988 durfte er ran, stand im Halbfinale gegen die Niederlande in der Startelf - prompt ging es schief, auch ihm wurde das bittere 1:2 angekreidet. In Düsseldorf ließ Mill seine große Karriere schließlich ausklingen, bei der Fortuna wurde er danach kurzzeitig und glücklos Manager. Danach zog sich Mill vom großen Fußball zurück. Er wurde Unternehmer, hatte unter anderem einen Containerdienst in Essen.
Mill war nicht nur ein Kind des Ruhrpotts. Er hatte die Mentalität der Region tief in sich aufgesaugt. Er vergaß nie, wo er herkam, war bescheiden. Ein Kümmerer, einer, der möglich machen wollte, was ihm möglich geworden war. Eines seiner Herzensprojekte war seine "Frank Mill Fußballschule". Er setzte sich damit für Kinder, für Jugendliche und für die Integration ein. Themen, die die Region bis heute beschäftigen. Er nahm sich nie wichtig. In dieser Fußballwelt der Egoisten blieb ihm vielleicht deshalb ein noch größerer Platz in der Geschichte verwehrt. Als er 1988 das 25.000 Tor der Bundesliga-Geschichte erzielt hatte, sagte er: "Auf ewig verewigt - was bedeutet das schon?" An diesem Dienstag findet sich die Antwort: Frank Mill bleibt unvergessen.
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