Diesen Abstecher konnte sich Miron Muslic nicht verkneifen. Als die nervenaufreibende Schlussphase des ersten Pflichtspiels, das er als Trainer von Schalke 04 zu verantworten hatte, überstanden war, ging er zu seinem Berliner Kollegen Stefan Leitl, dann zu den Schiedsrichtern – und schließlich in Richtung Nordkurve. Dort feierten die Hardcore-Fans der Königsblauen ausgelassen. Muslic reckte die Faust in die Höhe, der Jubel wurde noch einmal lauter.

„Das war sehr emotional“, sagte er anschließend. Denn „irgendwie“ hatte sich Muslic das Bild, welches sich ihm in diesem Moment bot, schon Tage zuvor ausgemalt: wie die Fans abgehen werden, falls das erste Spiel der neuen Zweitligasaison tatsächlich gewonnen werden sollte.

Diese fünf Sekunden, länger dauerte es nicht, waren eine Art persönliche Belohnung für Muslic – den Mann, den Schalkes neuer Sportvorstand Frank Baumann Ende Mai verpflichtet hatte. Mit seinem Namen konnte damals kaum ein Schalker etwas anfangen. Miron wer? Doch den Österreicher mit bosnischen Wurzeln, der zuletzt beim englischen Zweitliga-Absteiger Plymouth Argyle tätig war, störte das genauso wenig wie begrenzten Mittel, die er bei seinem neuen Arbeitgeber zur Verfügung haben wird. Er werde auf junge Spieler setzen, kündigte er an. Vor allem aber reize ihn die Wucht und Emotionalität, die Schalke umgibt. Diese Power wolle er heben.

„Es war ein wunderbarer Abend“, sagt ein glücklicher Coach

Ein Anfang ist gemacht. Mit 2:1 (2:0) wurde die favorisierte Hertha aus Berlin niedergekämpft – und sogar über weite Strecken fußballerisch dominiert. Das hatten den Schalkern nur wenige zugetraut. Muslic schon. „Es war ein wunderbarer Abend. Ich bin sehr stolz auf die Jungs“, sagte der 42-Jährige nach einer Partie, in der seine Mannschaft tatsächlich so agierte, wie er es eingefordert hatte. Schalke ließ die Hertha vor allem in der Anfangsphase kaum zum Luftholen kommen.

Die Schalker, die in der vergangenen Saison – die nicht nur wegen des 14. Tabellenplatzes als die schlechteste der jüngeren Vereinsgeschichte angesehen wird – die Fans zur Verzweiflung gebracht hatte, traten mutig auf. Das aggressive Pressing, der Markenkern der Philosophie von Muslic, war von der ersten Minute sichtbar – und sorgte für Chancen sowie eine frühe Führung. Und die war spektakulär. Peter Remmert, ein 20 Jahre altes Sturmtalent war in einem Zweikampf zwar zu Boden gegangen, schaffte es aber dennoch, den Ball im Liegen zu Moussa Sylla zu spitzeln, der einschießen konnte (16. Minute). Sieben Minuten darauf köpfte der neue Abwehrchef Nikola Katic zum 2:0 ein.

Damit hatten die Schalker das Publikum angezündet – und die beeindruckend laute Atmosphäre verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Berliner schafften es nicht, das Pressing der Gastgeber zu überspielen. „Wir hatten keine Lösung, uns aus dem Druck zu befreien“, sagte Herthas Trainer Stefan Leitl. Seine Mannschaft, die als aussichtsreichster Anwärter auf den Aufstieg gehandelt wird, hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Sie verließ sich ausschließlich auf ihr spielerisches Potenzial, das der Gegner aber nie zur Entfaltung kommen ließ. Die Schalker gewannen fast alle Zweikämpfe und zweite Bälle.

Erst gegen Ende, als die Gastgeber kurzzeitig die Übersicht verloren und Sebastian Grönning zum Anschlusstreffer (89.) für Hertha traf, drohte die Partie zu kippen. Doch auch da fehlte es den Gästen – im Gegensatz den Schalkern – an Entschlossenheit. Und darauf war es Muslic fast noch mehr als auf das Ergebnis angekommen.

„Es ging nicht darum, ein Statement zu setzen, es ging um die Performance. Wir wollten den Fans ein neues Gesicht zeigen, ihnen nach einer sehr schwierigen Saison zeigen, dass wir einen neuen Weg einschlagen und eine neue Dynamik entwickeln wollen“, sagte er. Tatsächlich war dieser Auftakt vor allem ein Zeichen an den eigenen Anhang. Nach dem Motto: Seht her, wir haben eure Kritik verstanden.

Damit allein ist natürlich nichts gewonnen. Die Umstände, unter denen Baumann und Muslic arbeiten, bleiben schwierig. Die finanziellen Probleme drücken. Gut möglich, dass es bis zum Ende der Wechselperiode noch zu Abgängen kommt. Der Klub muss einen Transferüberschuss von neun Millionen Euro erwirtschaften, um eine Auflage der Deutschen Fußball Liga (DFL) in Bezug auf die Reduzierung des negativen Eigenkapitals zu erfüllen. Sollte etwa ein Angebot für Sylla ins Haus flattern – Schalke wäre wohl gezwungen, den Torjäger zu verkaufen.

Doch die belastenden Themen rückten am Freitagabend in den Hintergrund. „Wir haben Werbung in eigener Sache gemacht“, erklärte Muslic, der seinen ersten Sieg als Schalke-Trainer sichtlich genoss: „Es ist jetzt 23.30 Uhr. Ich bin froh, wenn ich heil und gesund in meine Wohnung komme“, sagte er – und empfahl sich bis zum Auslauftraining am Samstagmorgen: „Dann geht der Wahnsinn weiter.“

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