So ein F50 sieht bereits über der Wasseroberfläche beeindruckend aus. Auf ihrem gut acht Meter breiten Doppelrumpf steckt ein 29 Meter hohes Segel, das eher einer senkrecht stehenden Flugzeugtragfläche gleicht. Die entscheidenden Bauteile jedoch liegen unter der Wasseroberfläche: die Foils. Die deutsche Übersetzung wäre "Tragflügel", was es ganz gut trifft, denn wie die Tragflächen eines Flugzeuges erzeugt ihre Form Auftrieb. Ab einer bestimmten Geschwindigkeit heben die Foils das Boot aus dem Wasser, schlagartig fällt der Widerstand und das Boot schießt wie von einer Gummizwille abgeschossen mit über 100 km/h einen Meter über die Wellen. Eine für Segelboote unglaubliche Geschwindigkeit – herkömmliche Rennsegler schaffen nicht einmal die Hälfte.

Der SailGP ist auch kein normaler Segelwettbewerb, sondern auf kurzweilige, actionreiche Unterhaltung getrimmt. Hochgezüchtete Segelboote rasen in irrem Tempo um den Sieg in kompakten 15-Minuten-Rennen – Kentern, Überschläge, spektakuläre Zusammenstöße inklusive. Und das alles sehr nah am Publikum. Auch das unterscheidet den SailGP von anderen Regatten, bei denen das Publikum allenfalls die ein- und auslaufenden Boote zu Gesicht bekommt.
SailGP ist Adrenalin, Action und Volksfest
Rennsegeln einem breiten Publikum so attraktiv aufzubereiten wie die großen Autorennsport-Serien und damit Geld zu verdienen, war das Ziel von Oracle-Mitgründer Larry Ellison und dem Weltklassesegler Russell Coutts, als sie 2018 den SailGP erdachten. Das erste Rennen wurde 2019 in im Hafen von Sydney in Australien ausgerichtet. Rolex war von Anfang an dabei und ist seit 2024 Titelsponsor.

Jeder der zwölf weltweit ausgetragenen Grand-Prix-Wettkämpfe geht über sechs Rennen an zwei Tagen. In den ersten fünf Rennen eines Events treten alle Teams an. Nach jedem Rennen erhält das erstplatzierte Team zehn Punkte und die dann folgenden Ränge je einen Punkt weniger. Im finalen Rennen messen sich schließlich die drei Teams mit der höchsten Punktzahl. Das Siegerteam der gesamten Saison ergibt sich aus der höchsten Punktzahl über alle Rennen. Der Lohn der Mühe ist ein Preisgeld von zwei Millionen US-Dollar.
Sassnitz in einer Reihe mit New York, Sydney und Saint-Tropez
Die internationalen Austragungsorte lesen sich illustrer: Sydney, New York, San Francisco, Saint-Tropez – und Sassnitz. Der beschauliche Ort auf Rügen wird am 16. und 17. August 2025 zum Zentrum der internationalen Segler-Elite. Die Anwohner finden den Trubel gut – jedenfalls gab es bei der Ortsversammlung im April keinen Gegenwind für Bürgermeister Leon Kräuschke. Der freut sich mächtig: "Das Rennen findet vor den berühmten Kreidefelsen Rügens statt, einem Unesco-Weltnaturerbe. Das ist einzigartig unter all den anderen Orten der SailGP", sagt Kräuschke sichtlich stolz einer Pressekonferenz.
Das deutsche SailGP-Team
Die Ostsee ist nur für einen Teil des deutschen Team ein Heimspiel. Die Truppe ist wie beim SailGP üblich international gemischt. Ein F50-Katamaran wird von insgesamt sechs Crewmitgliedern gesegelt– jedes mit einer ganz spezifischen Aufgabe und Bezeichnung. Die revolutionäre Foil-Technik hat die Art der Teamarbeit an Bord umgekrempelt. Der Kapitän oder Driver spielt nicht mehr die erste Geige.

Der Berliner Erik Heil ist der Driver, was so etwas wie Steuermann und Kapitän in Personalunion ist. Er steuert das Boot und gibt dem Team durch, was er als Nächstes vorhat. Sein Steuerruder ist wie das Lenkrad eines Formel-1-Boliden gespickt mit zahlreichen Knöpfen und Drehschaltern.

Die Hamburgerin Anna Barth als Strategist behält den Überblick über die Position des eigenen Bootes in Relation zu den Gegnern und legt die Strategie für das Rennen fest. Jedes Boot versucht, im Rennkurs möglichst in die innere Bahn zu gelangen, weil es dort an den Wendepunkten die kürzeste Strecke zurücklegen muss. Stoßen Boote zusammen, erhält jenes Team Strafpunkte, das die Kollision verursacht hat.

Wing Trimmer Stuart Bithell kommt aus England, er kümmert sich um die Anstellung des in Segmente unterteilten Wings. Je optimaler das Segel zum Wind steht, desto mehr Tempo bekommt das Boot. Es braucht eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit, um auf den Foils zu bleiben.

Der Flight Controller James Wierzbowski steuert die ein- und ausfahrbaren Foils – er bringt das Boot zum Fliegen. Berührt der Rumpf das Wasser, hat er einen Fehler gemacht und das Boot abrupt abgebremst. Wierzbowski ist Australier.

Das Grinder-Team: Der bayrische Bootsbauer Felix van den Hövel und Jonathan Knottnerus-Meyer aus Kiel bilden den Maschinenraum des Bootes. Die Grinder kurbeln im Hochtempo, um das Segel unter Spannung zu halten.

Ohne sie geht nichts an Bord – sie sind die Kraftwerke. Ein echter Knochenjob für Leistungssportler mit Ausdauer und großem Lungenvolumen. Van den Hövel hat sich für den Job 16 Kilo Muskelmasse antrainiert.
G-Kräfte, die selbst Sebastian Vettel Respekt einflößen

Je nach Manöver muss das komplette Team bei voller Fahrt mehrfach die Seiten der Katamaranrümpfe wechseln. An Sicherheitsleinen eingeklinkt laufen sie über das "Trampolin" zwischen den identisch ausgestatteten Bootskörpern hin und her. Ein gefährliches Manöver. 2023 rutschte ein Mitglied der britischen Crew durch das Netz. Wie ein Spielball prallte er mehrfach von der brettharten Wasseroberfläche ab und stieß gegen den Rumpf.
Wie groß die G-Kräfte sind, erfuhr der ehemalige Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel am eigenen Leib. Zusammen mit dem Kommunikationsunternehmer Thomas Riedel gründete er 2023 das deutsche SailGP-Team. Mittlerweile ist auch Holger Hübner, Initiator des Wacken Festivals, als Investor mit an Bord.
Die enormen Kräfte beim Wenden seien selbst für ihn überraschend gewesen, berichtet der viermalige Formel-1-Weltmeister. Obwohl er nur 64 km/h gefahren sei, habe er sich einen Sicherheitsgurt gewünscht. Vettel befindet sich in prominenter Gesellschaft namhafter Eigner. So gehört das australische Team den Hollywood-Stars Hugh Jackman und Ryan Reynolds. Segelrennen sind eben doch ein Sport der Reichen und Schönen. Der jährliche Beitrag der Eigner ist bei zehn Millionen US-Dollar gedeckelt. Die eine Hälfte geht an den die Liga. Sie richtet die Rennen aus und stellt die Boote und die Logistik. Die andere Hälfte geht an die Teams.

Die Technik des F50 und der Foils bewegt sich an der Grenze des Machbaren. Der Aufwand, den hydrodynamisch besten Foil zu entwickeln, dürfte der Entwicklung von Flugzeugflügeln nahekommen. Die Vorderkanten der Foils sind ebenso messerscharf wie die Tragflächen eines F-104 Starfighters. Und wie beim Flugzeug schützen am Boden spezielle Abdeckleisten die Foils vor Beschädigungen – und das Personal vor Schnittwunden. Unbedarftes anfassen ist ohnehin eine Sünde. Bereits Kratzer stören die ideale Wasserströmung.
100km/h - die Schallmauer der Segler
Der heilige Gral des Temporausches liegt jenseits der 100 km/h. Erst mit den vor einem Jahr eingeführten T-Foils wurde er greifbar. Sie sind keine Erfindung eines einzelnen Teams. Alle in beim SailP verwenden baugleiche Boote, die von der Liga entwickelt und von den Teams geleast werden. Selbst die digitalen Renndaten werden geteilt. Unter allen Umständen wollen die beiden SailGP-Gründer ein technisches Wettrüsten unter den "Rennställen" wie beim America's Cup vermeiden. Es soll die bessere Mannschaft gewinnen, nicht die bessere Schiffstechnik. Damit ist der SailGP eine Ausnahme in einem Sport, der von Geheimniskrämerei und Eigenentwicklungen geprägt ist.

Segeln an der Grenze des physikalisch Machbaren
Da die meisten Zuschauer an Land mit der seemännischen Tempoangabe Knoten wenig anfangen können, wird – wie beim Rennwagen – in Kilometern pro Stunde gemessen. 100 km/h auf dem Wasser klingen zudem weit mehr nach magischer Grenze als 54 Knoten. In diesem Bereich beginnt tatsächlich eine physikalische Grenze.
Die Foils funktionieren wie die Tragflächen eines Flugzeugs. Auf der gekrümmten Oberseite strömt das Wasser schneller als auf der geraden Unterseite, je schneller die Strömungsgeschwindigkeit, desto geringer der Druck. So entsteht auf der Oberseite der Foils ein Unterdruck und an der Unterseite ein Überdruck, kurz: Auftrieb. Das Boot wird nach oben gesogen und zugleich nach oben gedrückt. Genau wie ein Flugzeug.
Der Siedepunkt von Wasser sinkt jedoch mit dem Luftdruck. Ab etwa 85 km/h nimmt der Druck so sehr ab, dass unmittelbar über dem Foil die Siedetemperatur des Wassers von 100 auf 30 Grad Celsius fällt. Das Waser in dieser dünnen Schicht beginnt dann zu verdampfen. Man könnte auch sagen: Es kocht. Die entstehenden Gasbläschen beeinträchtigen die Strömung und erzeugen durch Verwirbelungen Widerstand. "Das Boot beginnt zu vibrieren, ein ganz eigenartiges Gefühl", beschreibet Strategist Anna Barth das physikalische Phänomen Jenseits der 100 km/h kann die Wirkung so enorm sein, dass die Foils beschädigt werden. Das wäre der GAU für die Crew. Einen Foil tauscht man nicht wie Reifen an der Boxengasse.
So funktioniert der schnellste Renn-Katamaran der Welt

Wer sich mit Hochleistungssegeln auskennt, dem dürfte der F50-Katamaran bekannt vorkommen. Er ist die Weiterentwicklung des AC50 aus der berühmten Millionärs-Regatta Americas Cup, die 2017 auf Einrumpfboote umschwenkte. Die Verwandtschaft ist mittlerweile nur noch äußerlich. Der F50 wurde gezielt für die Anforderungen der 2019 gegründeten Rennserie SailGP weiterentwickelt. Im Unterschied zu anderen Regatten verwenden hier alle Teams baugleiche Boote. Wie ein Tragflügelboot rast der F50 auf sogenannten Foils über das Wasser und erzielt wegen des geringen Wasserwiderstands Geschwindigkeiten von gut 100 km/h bei 40 km/h Wind. Damit ist das F50 das schnellste Segelboot überhaupt, das Höchstgeschwindigkeiten nicht nur auf geradem Kurs, sondern bei allen Manövern erreicht. Für die hohe See sind die F50 genauso wenig gedacht, wie ein Formel-1-Bolide für den Straßenverkehr. Schon kleinere Wellen können das hochgezüchtete Segelgerät von den Foils holen und das fragile Boot schwer beschädigen © Rolex
Die heimliche Hoffnung auf spektakuläre Action
Und noch eines haben SailGP-Rennen und Formel 1 gemeinsam: die heimliche Hoffnung von Zuschauern und Sportmoderatoren auf spektakuläre Situationen. Die sind keineswegs selten, wenn zwölf Boote mit je sechs Leuten mit knapp 100 km/h durch einen engen Parcours jagen – so wie im Rennen vor Sydney 2024. Kopf an Kopf pflügten das deutsche und französische Team auf die Tonne zu, an der die Boote nach links wenden müssen. Die Franzosen lagen leicht vorn und hatten das Wegerecht. Erik Heil und sein Team wollten sich nicht in letzter Sekunde zwischen Tonne und Gegner zwängen. Sie wichen aus, wobei sich ein Rumpf des Katamarans fast senkrecht gen Himmel hob – höchste Kentergefahr.

Doch lieber solche Stunts als eine Kollision. Zusammenstöße werden mit schmerzhaften Minuspunkten geahndet. Die hohen Strafen sollen sehr riskante Manöver verhindern, doch manchmal genügt schon ein kleiner Moment der Unachtsamkeit. Beim SailGP in Sydney dieses Jahr schätzte Erik Heil die Geschwindigkeit des ihm wendenden italienischen F50 falsch ein. Der deutsche Katamaran touchierte das Boot oder "fuhr ihm den Außenspiegel ab", wie Grinder Felix van den Hövel es ausdrückte. Für den Rempler gab es so viele Minuspunkte, dass für das deutsche Team die Saison fast schon gelaufen ist. Die Strafe sei schon etwas zu hart, sagte Teamchef Heil sichtlich frustriert im Video-Blog des deutschen SailGP-Teams.
Auch Mastbrüche gehören zum Renngeschäft genau wie spektakuläre Überschläge, wenn bei voller Fahrt der Auftrieb an den Foils verloren geht und der Bug mit 80 km/h und mehr ins Wasser taucht. Das Resultat kennt jeder Radfahrer, der eine Vollbremsung nur mit den Vorderradbremsen versucht. Er fällt kopfüber. Das Boot mit Mann und Frau ebenso.
Die Teams haben weder Zeit noch Gelegenheit auf einem F50 zu trainieren. Für jeden Mannschaft gibt es nur ein Boot und die sind nach dem Rennen sofort im Container verpackt auf dem Weg zum nächsten Austragungsort. Man behilft sich mit Simulatoren und sogenannten Switches, winzige Segelboote mit Foils für eine Person. "Das ist sicher nicht ideal, wird sich in den kommenden zwölf Monaten aber ändern. Wir wollen an drei Standorten auf der Welt F50-Trainungsboote zur Verfügung stellen", sagt Andrew Thompson, Organisator des SailGP.
Bester Blick von allen Seiten: Zwischen Helikopter und Virtual Reality

Jedes SailGP-Rennen wird publikumswirksam inszeniert. Hubschrauber und Drohnen umkreisen die Boote, auf Begleitschiffen filmen Kamerateams, und Spezialeffekte in der Videobearbeitung lassen die Rennstrecke durch auf das Wasser gelegte Markierungen wie ein Straßenrennen wirken. In Australien, Neuseeland und den USA kommentieren Sportmoderatoren die Rennen mit dem gleichen Witz und Charme wie Wettkämpfe im Ballsport.
Im Vergleich zu anderen Regatten ist der SailGP ein echtes Spektakel. Segeln dürfte für Nicht-Segler nie unterhaltsamer inszeniert worden sein. In Sassnitz wird in der zweiten Augustwoche die Mole gesperrt und zu einem Rennstall umfunktioniert – komplett mit Boxengasse, Zeltstadt für die Teams und ihre Ausrüstung sowie VIP-Bereich. Die äußere Mauer der langen Mole wird zu einer einzigen Zuschauertribüne bis zur Wiese vor der Strandpromenade. Genau davor werden die F50 durch das Wasser fliegen.

Das ZDF überträgt das Rennen. Wer live dabei sein möchte, sollte sich ranhalten – die ersten Kontingente sind bereits ausverkauft. Die Kartenpreise sind gestaffelt nach Tag, Sicht und Zuschauerbereich. Ab 64 Euro geht es für die Einzelkarte los, Familien mit bis zu zwei Kindern zahlen ab 154 Euro. Für das teuerste Ticket werden 2500 Euro verlangt. Kostenlos ist hingegen die "Sassnitz Sail" mit vielen historischen Segelschiffen – sie findet zeitgleich und nahezu am gleichen Ort in Sassnitz statt. Einen entfernten Blick auf das benachbarte Rennspektakel gibt es umsonst obendrauf. Ein cleverer Zug von Bürgermeister Leon Kräuschke.
Ob Sassnitz sich als Austragungsort künftig etablieren kann, hängt erheblich vom Zuspruch des Publikums ab - und den Sportförderungen des Landes. Im Veranstaltungskalender 2026 taucht der beschauliche Ort noch nicht auf, "Europe" steht dort als Platzhalter. Als Alternativen werden Kiel, eine Hafenstadt im Baltikum und Italien gehandelt. Bürgermeister Leon Kräuschke würde den Rennzirkus jedenfalls gern an seine Stadt binden.
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