Beim Team Red Bull-Bora-hansgrohe könnte die Laune eigentlich kaum besser sein. Florian Lipowitz steht kurz davor, die Tour de France als Gesamtdritter zu beenden. Eine Sensation. Doch es gibt da auch noch Primoz Roglic und dessen seltsame Attacke.
Noch bevor die ersten Meter bei der Tour de France gefahren wurden, hatte das Team Red Bull-Bora-hansgrohe eine Kapitäns-Diskussion an den Pedalen kleben. Würde Altstar Primoz Roglic wirklich der Rolle gerecht werden oder sollte das Team nicht vielmehr dem jungen Florian Lipowitz alle Kräfte zur Verfügung stellen? Eine Antwort gab die Equipe nicht. Zumindest keine eindeutige. Offiziell sollten beiden mal schauen, was möglich ist.
Das musste am Selbstverständnis von Roglic nagen, dem großen Grand-Tour-Fahrer, der viermal die Vuelta für sich entschied und einmal den Giro d'Italia. Während Lipowitz erst seit ein paar Wochen in der Öffentlichkeit Thema ist, weil er so einen gigantischen Leistungssprung hingelegt hat. Und bei der Dauphine-Rundfahrt, kurz vor der Tour de France, plötzlich mit den Superstars um Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard mithalten konnte.
Roglic geht gleich zweimal auf eigene Rechnung los
Das Bild hat sich bestätigt: Lipowitz fährt eine sensationelle Tour. Er liegt zwei Etappen vor dem Ende auf Rang drei. Er wird der erste Deutsche seit Andreas Klöden 2006 werden, der am Ende auf dem Podium steht, sollte nichts völlig Abwegiges passieren. Lipowitz macht die gesamte Radsportwelt mit seiner mutigen Fahrweise verrückt. Selbst ein Einbruch auf der 18. Etappe kann ihm nichts anhaben. Die Kapitänsfrage bei Red Bull-Bora-hansgrohe ist längst beantwortet, wenn auch unausgesprochen. Nur einer mag das nicht akzeptieren: Roglic.
Auf den beiden knüppelharten Alpen-Etappen am Donnerstag und Freitag setzte der Slowene alles auf eine Karte, stürmte früh in Ausreißergruppen und fuhr auf eigene Rechnung. Als zu diesem Zeitpunkt noch Gesamtfünfter hatte er Chancen, das Podium zu erreichen. Im direkten Kampf gegen Lipowitz. Eigentlich verrückt. Das fand auch Jan Ullrich. Die Teamtaktik auf dem 18. Teilstück konnte er nicht verstehen: "Am Col de la Madeleine war Florian Lipowitz nur 20 Sekunden hinter der Leadergruppe. Wenn man da Primoz Roglic nach hinten schickt, so 500 Meter vor der Kuppe, dann können die zu zweit ganz schnell in die erste Gruppe zurückkommen. Lipowitz verbraucht dann nicht so viel Kraft in der Abfahrt. Dann sieht das ganz anders aus."
Aber so war's nicht. Der Deutsche kämpfte sich alleine durch die "Hölle", Roglic fuhr fürs eigene Konto. Und wiederholte das direkt am nächsten Tag. Auf der verkürzten Etappe nach La Plagne attackierte der 35-Jährige in der Mitte des Rennens wieder. Doch einen komfortablen Vorsprung konnte er nicht herausfahren, die Topgruppe ließ ihn nicht gewähren. So verbrauchte er in seiner kleinen Fluchtgruppe wahnsinnig viele Körner, die ihm auf dem fast 20 Kilometer langen Schlussanstieg fehlten. Roglic brach komplett ein, wurde 27. und schleppte 12:39 Rückstand mit auf den Gipfel. In der Gesamtwertung fiel er auf Rang acht zurück.
"Es ist immer wieder schwierig mit Primoz"
In seinem Team kam der egoistische Ritt nicht sonderlich gut an. Der Sportliche Leiter des Teams, Bernhard Eisel, bekannte bei Eurosport: "Es ist immer wieder schwierig mit Primoz. Er wollte unbedingt den Etappensieg. Das hat leider nicht funktioniert." Weil sich niemand fand, der den Altstar unterstützen wollte: "Wir hatten ein bisschen gehofft, dass noch jemand mit Primoz mitkommt, um eine Allianz zu haben für später. Aber leider war das Tempo von UAE für Pogacar sehr hoch." Auch bei der Konkurrenz sorgte die Attacke des Slowenen für Verwunderung. Felix Gall, nun Fünfter, sagte: "Vor dem Anstieg hatten meine Teamkollegen die Idee, Roglic zu distanzieren. Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist. Ich habe mich hingegen sehr gut gefühlt."
Roglic' Einbruch hat Folgen für sein Team. "Für uns wäre es natürlich schön, Platz drei und vier oder fünf noch zu haben, aber wir kennen natürlich auch die Maßstäbe von Primoz Roglic. Ihn muss man da immer wieder auch respektieren. Primoz hat gekämpft", befand Eisel, der aber ohnehin bester Laune sein musste, eben wegen des nächsten herausragenden Auftritts von Lipowitz, der sich bis ins Ziel an das Hinterrad von Pogacar und Vingegaard heftete und seinem ärgsten Verfolger Oscar Onley wichtige Sekunden im Kampf um Platz drei und das Weiße Trikot für den besten Jungprofi abnahm. "Wir wussten, dass Florian wirklich stark ist. Aber man weiß nie ganz genau, wie stark. Und dann kommen immer leichte Zweifel auf. Aber er hat unglaublich gut gekämpft und war zur richtigen Zeit bei Onley am Hinterrad. Er ist dann an ihm vorbeigefahren und das war der Moment, in dem Onley wirklich in Schwierigkeiten kam. Dann hat er es nach Hause gefahren."
Gerüchte um Evenepoel
"Ich bin heute mehr als zufrieden. Ich wusste, dass ich heute abliefern muss", sagte Lipowitz kurz nach seinem Alpen-Coup in der ARD. "Morgen wird auch noch ein harter Tag. Wir müssen fokussiert bleiben. Dann hoffe ich, dass wir das dann sicher ins Ziel bringen." Wenige Minuten zuvor kämpfte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die letzte Rampe hinauf zum Ziel in den über 2.000 Meter hoch gelegenen Wintersportort La Plagne und verhinderte auf der nassen Fahrbahn gerade noch einen Sturz. All seine Anstrengungen machten sich bei der letzten harten Klettershow in den Alpen bezahlt.
Eine spannende Frage schleppt das Team nun mit aus der Tour: Wie stellt sich Red Bull-Bora-hansgrohe in Zukunft auf? Wie geht es weiter mit Roglic? Und wird Lipowitz künftig der uneingeschränkte Star? Es gibt ja wilde Gerüchte um eine Verpflichtung von Remco Evenepoel, dem angeblich absurd viel Geld geboten werden soll. Der Belgier gehört seit Jahren zu den größten Talenten im Radsport. Mit 25 gehört er offiziell noch zu den Jungprofis. Vor wenigen Tagen aber musste er die Tour völlig entkräftet aufgeben und sprach danach vom "einem der härtesten und verletzlichsten Momente meiner Karriere."
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