Englands Innenverteidigerin Jess Carter wird während der EM Ziel rassistischer Hetze. Vor dem Halbfinale gegen Italien zieht sie sich aus den sozialen Medien zurück. Die Mannschaft reagiert und stellt das eigene Zeichen gegen Rassismus auf den Prüfstand.
Die Frauen-EM in der Schweiz läuft sportlich auf Hochtouren. Die Stadien sind gut gefüllt, die Einschaltquoten steigen, und die Atmosphäre rund um das Turnier ist bislang von Begeisterung geprägt. Der Frauenfußball, oft im Schatten des Männerbetriebs, bekommt endlich die große Bühne – und nutzt sie eindrucksvoll. Doch vor dem Halbfinale zwischen England und Italien fällt ein dunkler Schatten auf das Turnier.
Englands Nationalspielerin Jess Carter hat öffentlich gemacht, dass sie während der EM zur Zielscheibe rassistischer Anfeindungen wurde. In einem emotionalen Statement auf Instagram wandte sich die 27-Jährige am Sonntag an die Öffentlichkeit. Ihre Botschaft: klar, persönlich, unmissverständlich.
"Seit Beginn des Turniers habe ich viele rassistische Anfeindungen erlebt. Auch wenn ich finde, dass jeder Fan das Recht auf eine Meinung zu Leistung und Ergebnis hat, halte ich es nicht für richtig oder akzeptabel, jemanden wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft ins Visier zu nehmen."
"Es sieht aus, als stehe Jess alleine da, aber ..."
Carter, Tochter eines US-Amerikaners und Verlobte der deutschen Nationaltorhüterin Ann-Katrin Berger, kündigt zugleich ihren Rückzug aus den sozialen Medien an – als Akt des Selbstschutzes. Sie hofft, mit ihrem offenen Wort einen Denkanstoß zu geben: "Mein Wunsch ist, dass mein offenes Wort zu einer weiteren positiven Veränderung beiträgt – für alle."
Der englische Fußballverband FA stellte sich umgehend hinter seine Spielerin. FA-Geschäftsführer Mark Bullingham verurteilt die Angriffe aufs Schärfste und bestätigt, dass inzwischen die Polizei eingeschaltet wurde: Man werde alles daransetzen, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Auch innerhalb der Mannschaft erhält Carter breite Rückendeckung. Ihre Teamkollegin Georgia Stanway, die beim FC Bayern unter Vertrag steht, stellt klar: "Es sieht aus, als stehe Jess alleine da, aber so viele stehen hinter ihr. Das ist das Tolle am Fußball – dass man als Kollektiv Dinge verändern kann."
Ein stilles Zeichen – das Knie bleibt diesmal oben
Als Reaktion auf die Anfeindungen hat die Mannschaft entschieden, vor dem Anpfiff gegen Italien (21 Uhr/ARD und im Liveticker auf ntv.de) nicht wie gewohnt niederzuknien. Die Geste des Kniefalls, die durch Footballspieler Colin Kaepernick einst als deutliches Zeichen gegen Rassismus im Sport bekannt wurde, wird im Team inzwischen hinterfragt. Englands Abwehrspielerin Lucy Bronze formuliert es so: "Ist diese Botschaft noch stark genug? Kommt sie überhaupt an?" Wenn Spielerinnen im bedeutendsten Turnier ihrer Karriere immer noch Zielscheibe rassistischer Hetze seien, müsse man "andere Wege finden, Haltung zu zeigen".
Auch in der britischen Öffentlichkeit wird das Thema kontrovers diskutiert. Im Radiosender LBC sprachen Hörerinnen und Hörer über die Entscheidung der Lionesses – und zeigten sich gespalten. Moderator Nick Ferrari fasste die Stimmung so zusammen: Ein Teil des Publikums verstehe und respektiere den Schritt der Mannschaft, halte den Kniefall aber nach wie vor für ein starkes Zeichen. Die andere Hälfte hingegen habe den Eindruck, dass die Geste von Anfang an keine Wirkung gehabt habe.
Innerhalb des Teams wurde beschlossen, künftig andere Wege zu finden, um klare Haltung zu zeigen – auch wenn noch offen ist, wie diese konkret aussehen werden. Es sei Zeit für neue Formen des Widerstands gegen Rassismus im Fußball, so der Tenor. Die Entscheidung, den Kniefall auszusetzen, sei kein Rückzug – sondern ein Appell.
Sportlicher Fokus trotz Störfeuer
Englands Fußball-Nationaltrainerin Sarina Wiegman hat die rassistischen Beleidigungen gegen ihre Spielerin Jess Carter vorm Halbfinalspiel, scharf verurteilt. "Es ist echt traurig, dass wir uns mit so etwas beschäftigen müssen. Es ist lächerlich und ekelhaft", stellte gleichzeitig, aber auch klar, dass sich ihr Team von den rassistischen Anfeindungen gegen Carter nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen wolle.
Die sportliche Herausforderung für die Engländerinnen ist auch ohne die Störfeuer groß: Mit Italien trifft das Team auf einen Gegner, der sich bei diesem Turnier als taktisch diszipliniert und offensiv gefährlich präsentiert hat. England wird defensiv gefordert sein – eine Schlüsselrolle dürfte dabei auch Innenverteidigerin Carter einnehmen, die trotz der Belastung durch die aktuellen Ereignisse zum Aufgebot für das Halbfinale zählt. Es sei eine schwierige Situation, sagte Wiegman, aber Carter wolle die Erfahrung hinter sich lassen und versicherte: "Wir sind bereit zu liefern. Sie ist bereit zu liefern."
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