Es ist schon ein Hohn, eine bittere Pointe, dass dieses Leben, das doch ein einziger Superlativ sein sollte, so elend und unglamourös endete. Felix Baumgartner, der Mann, der einst aus der Stratosphäre auf die Erde sprang, aus 39 Kilometern Höhe, ist am Mittwoch tot aus einem Swimmingpool geborgen worden. Baumgartner hatte die Kontrolle über seinen Paraglider verloren und war in das Schwimmbecken eines Hotels an der Adriaküste gestürzt.
Für Baumgartner, 56, hätte dieser Flug eine leichte Übung sein müssen, gemessen an dem, was er gewagt hatte all die Jahre zuvor.
1996 sprang er mit einem Fallschirm auf dem Rücken von der New River Gorge Bridge in West Virginia, der damals größten Bogenbrücke der Welt. Ein Jahr später wählte er die 451 Meter hohen Petronas Towers in Kuala Lumpur als Absprungbasis – was einen neuen Weltrekord bedeutete, aber Baumgartner nicht spektakulär genug war. 2004 ließ er sich deshalb in die Mamet-Höhle im kroatischen Nationalpark Velebit fallen, durch einen engen Felsschacht, 190 Meter tief. Unten auf dem Höhlenboden hatte Baumgartner ein paar Fackeln anzünden lassen, um nicht in ein völlig finsteres Loch zu stürzen.
Ein Teufelskerl, dieser Felix Baumgartner aus Salzburg. Einer, der Grenzen verschiebt. Einer, der alles auf Spiel setzt, um das zu schaffen, von dem alle sagen: Das geht nicht, das ist unmöglich, das ist Wahnsinn.
So wurde damals, Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre, über Baumgartner gesprochen. Aber nur in der Szene, unter den Basejumpern.
Für Baumgartner natürlich ein viel zu kleiner Resonanzraum. Und für seinen Sponsor, den Brausekonzern Red Bull, sowieso. Es musste es etwas Tollkühnes her, etwas aberwitzig Vermessenes, eine Aktion, die mit nur einem Satz beschreibbar ist und jeden, der diese Worte hört, erschaudern lässt. Und zwar überall auf der Welt. Dieser Satz lautete: Springt ein Mann aus dem Weltall auf die Erde.
2012 bricht Felix Baumgartner Rekorde
Fünf Jahre arbeitete Baumgartner, gelernter Kfz-Mechaniker, Sohn eines Tischlers und einer Hausfrau, an dem Projekt, das er Stratos nannte. Nur mit einem dünnen Raumanzug bekleidet, wollte er sich mit einem Heliumballon auf 39.000 Meter Höhe tragen lassen und dann aus der Transportkapsel springen, um der Erde entgegenzujagen.

Einziges Gepäckstück: ein Fallschirm. Aber den würde er möglichst spät aufspannen wollen, denn es galt Rekorde aufzustellen: die höchste Geschwindigkeit im freien Fall und der tiefste freie Fall. Die Bestmarke für den höchsten Absprung würde er schon erreichen, wenn er sich traute, einen Schritt in die Stratosphäre zu tun.
Am 14. Oktober 2012 war der große Tag gekommen. Aus Stratos sollte endlich Realität werden. Bereits als Baumgartner in seiner grauen Kapsel hockte, hoch über New Mexico, hatte sich einer seiner größten Wünsche erfüllt: Die Welt schaute ihm bei seiner Himmelfahrt zu. 200 Fernsehstationen berichteten live, versorgt mit Bildmaterial von 35 Red Bull-Kameras.
Kurz bevor er sprang, um 12.07 Uhr, sprach Baumgartner ein paar Worte ins Mikrofon, die so gedrechselt klangen, als hätte er tagelang an ihnen rumredigiert: "Könntet ihr nur sehen, was ich sehe. Manchmal muss man wirklich weit hinaufgehen, damit man erkennt, wie klein man ist … Ich gehe jetzt heim."
Baumgartner sprang, und es glückte ihm alles. Er zog den Fallschirm nicht zu früh und nicht zu spät, er brach mehrere Rekorde und landete wohlbehalten in der Wüste von New Mexico.
Nach dem Rekordsprung kommt der Rücktritt
Baumgartner erklärte umgehend seinen Rücktritt vom Extremsport, und für einen Augenblick hatte es den Anschein, als ob er tatsächlich Frieden mit sich geschlossen hatte. Als ob seine Geltungssucht, die er stets als sportlichen Ehrgeiz zu verkaufen versucht hatte, endlich gestillt wäre.
Das Gegenteil war der Fall. Baumgartner begann mit einer Selbstmusealisierung, die jeden verstören musste, der ihn für einen Helden gehalten hatte nach dem Sprung aus dem All. Baumgartner gab kaum ein Interview, in dem er nicht selbst sein eigenes Werk vermaß. So sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", es sei immer ein Traum von ihm gewesen, "der Menschheit etwas zu hinterlassen" – wie etwa Mozart. Im Gespräch mit dem "Handelsblatt" stellte Baumgartner sich in eine Reihe mit Neil Armstrong, dem ersten Menschen auf dem Mond, und mit Sir Edmund Hillary, dem Erstbesteiger des Mount Everest.

Extremsportler Die Akte Felix Baumgartner – seine schlimmsten Entgleisungen
Jedes Selbstlob ließ ihn schrumpfen, statt ihn größer zu machen. Aber Baumgartner verstand nicht, was er da tat, er kannte auch keine Schamgrenzen. Gern wies er in Interviews darauf hin, dass er Managern gute Ratschläge geben könnte, denn die seien ja auch in eisigen Höhen unterwegs. Die schlecht kaschierte Botschaft lautete: Bitte bucht mich als Speaker.
All das hätte es gar nicht gebraucht. Baumgartners Geschichte war auch so stark genug, ohne Begleitkommentar. Wer konnte sich denn nicht in ihr wiederfinden? Jeder, eben nicht nur Top-Manager, kennt wohl dieses Gefühl, dass in manchen Phasen kein Boden mehr unter den Füßen zu spüren ist. Weil das alles eine Nummer zu groß ist, die Überforderung im Job, eine komplizierte Liebe, mitunter beides zugleich. Und man selbst hat nur einen kleinen Fallschirm auf dem Rücken. Wo war noch mal die Reißleine?
Zwischenrufe von der rechten Seitenlinie
Baumgartner schaffte es nicht, seine Geschichte einfach für sich sprechen zu lassen. Das wäre souverän gewesen. Er wurde jedoch immer sonderlicher und fiel auf mit Zwischenrufen von der rechten Seitenlinie. Auf die Frage, ob er sich einen Wechsel in die Politik vorstellen könne, antwortete Baumgartner: "Du kannst in einer Demokratie nichts bewegen. Wir würden eine gemäßigte Diktatur brauchen, wo es ein paar Leute aus der Privatwirtschaft gibt, die sich wirklich auskennen."
Im Januar 2016 kommentierte er den Zustrom von Schutz suchenden Flüchtlingen nach Österreich so: "Ein Land, in dem Angeln ohne Angelschein bestraft wird und Menschen ohne Pass die Grenze überqueren, können nur Idioten regieren."
Baumgartner sprach sich dafür aus, Viktor Orbán den Friedensnobelpreis zu verleihen, denn der schütze sein Land und sein Volk.
Während der Coronakrise attackierte er den Chefredakteur der Tageszeitung "Falter", weil der geschrieben hatte, den milden Verlauf seiner Corona-Infektionen habe er mehrfachen Impfungen zu verdanken. Baumgartner beschimpfte ihn in einem Post als "Pharmahure" und wurde später zur Zahlung von 5000 Euro Schmerzensgeld verurteilt.

Baumgartner, den noch wenige Jahre zuvor Millionen Menschen angehimmelt hatten, isolierte sich mit seinen Einwürfen immer mehr. Gefeiert nur noch von rechtsnationalen Gruppierungen, längst kein Mann der Massen mehr.
"Born to fly" hatte sich Baumgartner früh auf einen Arm tätowieren lassen. Das sei sein Lebensmotto, sagte er in einem Interview, und er wisse auch schon, welches Tattoo er sich an seinem Lebensende stechen lassen würde: "I had fun".
Aber nein, das letzte Karrieredrittel war bestimmt kein Spaß für Felix Baumgartner, der sich selbst ins Abseits gestellt hatte. Es war auch kein Spaß für diejenigen, die mal seine Fans gewesen waren. Sie hörten nur noch einen Schwurbler reden und nicht mehr den Helden, der einst vom All auf die Erde gesprungen war.
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