Oliver Tarvet wird in Wimbledon eine Menge Stress bekommen: Der britische Nobody wird gegen Carlos Alcaraz spielen, den Titelverteidiger. Und dann ist da noch die Sache mit dem Geld ...
Oliver Tarvet ist 21 Jahre alt - und steht vor einer der größten Herausforderungen, die die Sportwelt aktuell zu bieten hat: Der Tennisprofi darf in Wimbledon, dem Mekka des Sports, auf der größten Bühne gegen Carlos Alcaraz ran, den Titelverteidiger. Tavert selbst ist die Nummer 733 der Weltrangliste und damit der größtmögliche Außenseiter, geht man alleine nach dem Ranking. Aber Angst hat der Brite nicht: "Ich bin hierhergekommen, ohne mir große Erwartungen zu setzen. Ich bin überzeugt, dass ich jeden schlagen kann. Alcaraz ist da keine Ausnahme", sagte Tavert nach seinem überraschenden 6:4, 6:4, 6:4-Erstrundensieg gegen den Schweizer Leandro Riedi beim Rasen-Klassiker in London.
Das Highlight-Match am Nachmittag will Qualifikant Tarvet, der vor seinem Wimbledon-Coup noch nie ein Match im Hauptfeld eines ATP-Turniers bestritten hatte und in diesem Jahr zuvor erst überhaupt bei zwei Turnieren auf der drittklassigen ITF World Tennis Tour angetreten war, genießen. "Er hat unglaublich viel geleistet in der Tenniswelt", sagte der Nobody mit Blick auf den Tennis-Giganten: "Es ist schwierig, ihn nicht zu respektieren." Verstecken wird er sich gegen den 731 Ränge besser platzierten Alcaraz deswegen aber nicht. Und in einer Statistik ist er dem spanischen Superstar sogar noch ebenbürtig: Beide Spieler haben bei ihren Grand-Slam-Teilnahmen noch nie ein Erstrundenmatch verloren.
"Er spielt ein großartiges Tennis"
Alcaraz allerdings ist inzwischen ein fünfmaliger Major-Sieger und in Wimbledon seit nun 15 Matches ungeschlagen. Aber der Spanier ist gewarnt vor seinem Gegner: "Er spielt großartiges Tennis auf Rasen, wenn er also in der zweiten Runde steht, hat er es verdient", sagte Alcaraz nach seinem Erstrunden-Marathon gegen den Italiener Fabio Fognini, den er nach knapp fünf Stunden in fünf Sätzen niedergerungen hatte. "Er hat ein großartiges Niveau, also muss ich mich darauf konzentrieren."
Überhaupt in die Qualifikation hat es Tarvet nur dank einer Wildcard des britischen Verbandes geschafft, dann ging die wilde Reise los: Nacheinander schlug der Nobody die Nummern 124, 126 und 210 der Weltrangliste - und nutzte dann schließlich auch seine gute Auslosung und putzte den Mit-Qualifikanten Riedi, der immerhin schon einmal an der Grenze zu den Top 100 gekratzt hat, weg. Nun wartet eine der größten Herausforderungen, die die Sportwelt derzeit zu bieten hat.
Welten liegen zwischen den beiden Kontrahenten beim auf dem Papier mit Abstand deutlichsten Duell des diesjährigen Turniers auch finanziell: Während Alcaraz alleine in der laufenden Saison bis zum Wimbledonstart schon mehr als 6 Millionen Euro eingespielt hat, sind es bei Tarvet knapp 2500 Euro. Und vom ersten ganz großen Zahltag seiner jungen Karriere hat der Brite nichts - jedenfalls noch nichts. Rund 120.000 Euro bringt in Wimbledon der Einzug in die 2. Runde, doch aus London wird Tarvet davon nur einen Bruchteil mitnehmen dürfen: Als Collegespieler darf der Student laut Regeln der National Collegiate Athletic Association (NCAA) aktuell ein Preisgeld in Höhe seiner tatsächlichen und notwendigen Ausgaben kassieren, nicht mehr.
"Der Rest wird von Wimbledon einbehalten"
"Seine tatsächlichen und notwendigen Ausgaben werden auf der Grundlage des gesamten Jahres berechnet und umfassen alle Ausgaben, die er tatsächlich getätigt hat und die für seine Teilnahme notwendig gewesen wären, wie z. B. Trainingsgebühren, Trainerhonorare und Reisekosten für ihn und seine Familie", erklärte die University of San Diego, wo Tarvet spielt und trainiert, auf Nachfrage von ntv.de. "Letzten Endes kann er also das Preisgeld annehmen, vorausgesetzt, er nimmt nicht mehr als seine tatsächlichen Ausgaben für die Teilnahme an. Der Rest wird von Wimbledon einbehalten." Immerhin: "Wimbledon kann das Preisgeld bis zu zwei Jahre lang einbehalten. Oliver ist noch ein Jahr lang in der NCAA startberechtigt."
Tarvet kommentierte diese besondere Herausforderung nach dem Triumph über Riedi, dem er im gesamten Match keinen einzigen Breakball gestattete, mit einem Schmunzeln: "Ich muss 60.000 bis 70.000 Pfund an Ausgaben auftreiben. Tennis ist ein teurer Sport, also hoffe ich, dass ich das schaffen kann. Ich bezahle meinen Trainern einfach ein bisschen mehr. Fliege Business Class ..." Noch auf dem Platz hatte der Brite seinem Heimpublikum verkündet: "Ich bin nicht wegen des Geldes hier, sondern wegen des Publikums, der Erfahrung und einfach, um meine Marke zu hinterlassen. Ich denke, das ist mir bis jetzt gut gelungen." Sollte Tarvet die ganz große Sensation gelingen, ginge der Ärger für ihn erst so richtig los: Für den Einzug in die 3. Runde würden schon 152.000 Pfund (rund 177.000 Euro) winken. Und die muss man erst mal für Tennis ausgeben ...
Aber darüber wird sich Tarvet noch keinen Kopf machen. Am liebsten wäre ihm, wenn er sich gar keinen Kopf machen würde. "Da war eine Menge Adrenalin und eine ordentliche Portion Nervenflattern", gestand Tarvet nach dem Match gegen Riedi auf dem kleinen Court 4. Ich habe gut daran getan, den Moment nicht zu groß werden zu lassen. Ich habe versucht, alles in mich aufzunehmen, aber gleichzeitig habe ich ein Match zu spielen und einen Job zu erledigen. Ich denke, ich habe mich gut auf das Wesentliche konzentriert."
Vor Wimbledon habe er mal in einem College-Duell vor 800 Menschen gespielt, nun wird er auf dem gigantischen, 15.000 Zuschauer fassenden Center Court von Wimbledon gegen einen der besten Tennisspieler seiner Generation antreten. Das (schon wieder) größte Match seiner Karriere will er entspannt angehen: "Natürlich werde ich versuchen, den Mittwoch wie jedes andere Spiel zu behandeln", sagte Tarvet. "Ich bin wirklich überglücklich, in dieser Situation zu sein. All die harte Arbeit der letzten Jahre hat sich eindeutig ausgezahlt."
"Vielleicht stelle ich jemanden ein ..."
Geboren und aufgewachsen ist Tarvet in St. Albans, einer Gemeinde nur knapp 40 Kilometer entfernt von Wimbledon. Zu Hause aber ist der junge Brite seit drei Jahren in San Diego. Und da freuen sie sich über den Auftritt ihres Schützlings, überrascht sind sie allerdings nicht besonders: "Ollie beeindruckt weiterhin in mehr als einer Hinsicht", sagte USD-Coach Alex Funkhouser, der Tarvet auch in London betreut, nach dem Match. "Er hat sich diese Position durch die konsequente Arbeit, die er Tag für Tag leistet, verdient. Diese Arbeit hat ihn zu der Überzeugung gebracht, dass er auf diesem Niveau nicht nur mithalten, sondern auch gewinnen kann."
Seit drei Jahren spielt Tarvet schon für die University of San Diego - und er wird seine Zelte dort auch nach dem großen Zahltag, dem wundersamen Ausflug in die ganz große Tenniswelt nicht abbrechen. Im Gegenteil: "Vielleicht stelle ich jemanden ein, der mir bei den Ausgaben hilft und dafür sorgt, dass die NCAA zufrieden ist", erklärte er. "Wie ich schon sagte, ist das sehr wichtig für mich. Ich habe noch eine Menge Ziele bei USD." Nun aber steht erst mal die größte Aufgabe seines Tennislebens an. Und danach kommt die Sache mit dem Geld.
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