"Der Platz ist extrem lang, an vielen Stellen eng und dazu ist es noch sehr windig", sagt Helen Briem und zieht sich auf der Terrasse des Clubhauses des Green Eagle Golf Course, 50 Kilometer südlich von Hamburg, die Kapuze ihres Hoodies über den Kopf. Darunter baumelt ihr langer Pferdeschwanz hervor. Helen Briem atmet tief: "Dieser Platz ist eine echte Herausforderung."
Die 19-Jährige ist gerade zurück von der Proberunde von dem Kurs, den der Deutsche Golfverband als den schwierigsten des Landes einstuft, genannt das "Grüne Monster". Hier tritt Briem bei den Amundi German Masters an, das erste Profiturnier in Deutschland in diesem Jahr, hierzulande das einzige mit der gesamten Elite der Ladies European Tour am Start. Druck? Druck verspüre sie nicht. "Druck und große Erwartungen kommen immer von einem selber." Und nach einer Pause fügt Helen Briem hinzu: "Man darf nicht vergessen: Ich bin heute auf den Tag genau erst elf Monate Profi. Man muss da noch nicht so viel bringen."
Helen Briem gilt als das größte Talent Europas
Tatsächlich erwarten viele von ihr nichts weniger als den Sieg. Helen Briem gilt im internationalen Damengolf als das größte Talent Europas, manche sagen sogar der Welt. Im vergangenen Jahr schaffte sie es als erste Deutsche auf die Nummer 1 der Amateur-Weltrangliste. Bereits als Amateurin siegte sie in der Profi-Liga dreimal in Folge. Und bei ihrem ersten Turnier als Profi auf der Ladies European Tour ging sie ebenfalls als Siegerin hervor - ein historischer Erfolg.

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Jetzt arbeitet die Mitfavoritin am "Grünen Monster" am nächsten Coup, aber sie sagt nur: "Ich bin deutlich jünger als die meisten. Ich habe noch nicht die Erfahrung. Ich weiß, dass ich vorne mitspielen kann. Aber je mehr Erfahrung man hat, desto besser kann man spielen."
Dabei schlägt Briem ihre Bälle heute schon um einiges weiter als nahezu die gesamte Konkurrenz. Mit 280-Meter-Abschlägen erreicht die 1,90-Meter-Athletin Längen, die bei den Herren üblich sind. Auch deswegen bescheinigen Experten ihr das Potenzial, einer der besten Golferinnen der Welt werden zu können. Eine, die die Szene dominieren kann wie einst bei den Herren Tiger Woods. Sie aber sagt: "Ich hatte nie die Intention Profi-Golferin zu werden." Bis vor einem Jahr habe sie noch nicht einmal Profigolf im Fernsehen verfolgt. Bis heute schaut sie im TV lieber Skirennen oder Biathlon als den Sport, in dem sie sich anschickt, eine ganz Große zu werden.
"Es geht immer um Nervenstärke"
Ihre Sporthelden kommen alle aus dem Wintersport. Die Skirennläuferinnen Mikaela Shiffrin etwa oder Lindsey Vonn, ebenso die die Biathletin Laura Dahlmeier. Warum? Während Helen Briem noch überlegt, antwortet ihr Vater Jochen, 55, für sie: "Die haben einfach alles gewonnen, was geht." Tatsächlich seien die Sportarten nicht so weit voneinander entfernt. "Die Athleten sind immer auf sich alleine gestellt. Beim Slalom, beim Schießen im Biathlon, und auch beim Golf: Es geht immer um Nervenstärke."

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Genau das gilt als eine ihrer größten Vorzüge, die Helen Briem zur Ausnahmegolferin macht: ihre mentale Power. "Man muss gewinnen lernen", sagt Helen Briem und lächelt fast verlegen. "Ich habe das Glück, schon als Kind viele Turniere gespielt zu haben, immer auf hohem Niveau, immer vorne mit dabei." Sehr häufig kommt es vor, dass sie gleich die erste Bahn mit einem Birdie eröffnet, also einem Schlag weniger als Platzstandard. Schon darüber freut sich jeder Profi. Ein Birdie zum Start als Paukenschlag schüchtert Konkurrenz gleich zu Beginn ein. "Aber wer am Ende weiterkommt, entscheidet sich erst an der letzten Bahn, beim letzten Put. Du brauchst Geduld", sagt Briem. "Wenn es Spitz auf Knopf steht musst du wissen: Wie reagiert dein Körper, was macht das Adrenalin. Und du musst auch deine Gegnerin lesen können."

Dabei hilft auch ihr Vater Jochen, Inhaber einer Firma für Messtechnik im schwäbischen Nürtingen, Hobbygolfer mit Handicap 10. Als Helen drei war drückte er ihr erstmals einen Golfschläger in die Hand. Seit sie Wettkampfgolf spielt, ist er stets als Caddy an ihrer Seite. Natürlich ist er im Spätwinter auch mit ihr zum Ski-Weltcup-Rennen nach Garmisch gefahren, um dort den Superstar Lindsay Vonn zu treffen. Jetzt kennt Helen Briem jede ihrer drei Sportidole persönlich, hat mit allen dreien gesprochen. "Das war natürlich ein Highlight", sagt der Vater, der Wert darauflegte, dass die Tochter bei all dem Sport die Schule nicht vernachlässigt.
Ihr Abitur bestand sie mit 1,9
Trotz Golf legte Helen Briem im vergangenen Jahr ihr Abi mit der Note 1,9 ab. Kurz danach wechselte sie ins Profilager, obwohl das nicht geplant gewesen sei. "Aber mit jedem Start wurde mein Horizont erweitert. Und irgendwann habe ich den Schritt gemacht." Doch Bernhard Langer, der mit fast 70 noch auf dem Platz steht, möchte sie nicht nacheifern. "Das ist nicht der Plan", sagt sie. Dazu fahre sie viel zu gerne Ski. Außerdem: "Es braucht einen Plan B nach dem Golf."
Trotz aller Erfolge studiert sie seit Herbst berufsbegleitend Pharmatechnik an der Hochschule Albstadt/ Sigmaringen. Es sei sehr gut für sie, "mal was für den Kopf zu tun neben dem Sport." Disziplin brauche es natürlich bei rund 20 Turnierwochen im Jahr, in denen Vater und Tochter gemeinsam rund um die Welt unterwegs sind. Disziplin war immer da. "Und Helen kann bestimmen, wie viel sie studieren will", sagt Vater Briem. "Sie kann es so machen, wie viel sie leisten kann."
Das ist offenbar ziemlich viel. Neulich, bei einem Turnier auf Teneriffa, habe sie eine späte Abschlagszeit zugeteilt bekommen. "Da habe ich dann einfach vorher noch einen Mathetest gemacht", sagt sie. Bestanden? "Natürlich." Das Turnier beendete sie als Zweite. Jetzt will sie in Green Eagle bestehen, obwohl sie weiß, dass manche der Kolleginnen, die "vier ordentliche Tage erwischt, das Ding gewinnen kann".
"Olympia ist das Höchste"
Natürlich hängt das auch ab vom Wind, "ihrem größten Feind", wie ihr Vater sagt. Im kurzen Spiel und beim Putten hat sie sich jedenfalls schon verbessert. Für die Experten der Szene gilt es nur noch als eine Frage der Zeit, wann sie auf die Profi-Tour in den USA wechselt, wo die gesammelte Weltelite um große Preisgelder spielt. "Denkbar", sagt Briem nur. "Das ergibt sich, wenn man die Konstanz hat. Aber im Sport ist nichts planbar." Der Vater ergänzt, dass die besten zehn der Europa-Tour die Chance haben, sich für die US-Tour zu qualifizieren. Derzeit rangiert Helen auf Platz fünf der besten Golferinnen in Europa. "Wenn es in diesem Jahr nicht klappt, dann vielleicht im nächsten Jahr", sagt der Vater. "Es würde mich nicht überraschen. So eine Chance lässt man sich nicht entgehen."
Dann wäre Helen Briem bereits in dem Land, in dem sie sich großes vorgenommen hat: Gold bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles. Bereits jetzt gilt sie dem deutschen Verband dort als die große Hoffnung. Für Helen Briem haben die Spiele "höchsten Stellenwert". "Aber ganz ehrlich. Ich habe keinen klaren Plan. Alles Schritt für Schritt", sagt sie. "Olympia ist das Höchste, das ist die letzte Stufe."
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