Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her. Im georgischen Batumi tritt die deutsche U21-Nationalmannschaft gegen England an. Es ist das letzte Vorrundenspiel bei der EM. Nach einem 1:1 gegen Israel und einem 1:2 gegen Tschechien unterliegt die deutsche Auswahl am Abend des 28. Juni dem späteren Europameister England 0:2. Deutschland scheidet als Gruppenletzter vorzeitig aus, die Titelverteidigung und die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 sind passe. „Ihr könnt nach Hause fahren“, hallt es nach dem Abpfiff durch die Arena, in der unten auf dem Rasen ein entgeisterter Trainer Antonio Di Salvo sagt: „Das haben wir uns alle ganz anders vorgestellt, das ist klar.“
Zwei Jahre spät sieht die deutsche Fußballwelt ganz anders aus. Freude hat Frust verdrängt, weil die Nachwuchsmannschaft am Mittwochabend im slowakischen Kosice durch ein 3:0 (2:0) gegen Frankreich der Finaleinzug gelungen ist. Im Endspiel der U21-EM trifft sie Samstag in Bratislava auf England (21.00 Uhr, Sat.1). Nach 2009, 2017 und 2021 winkt der vierte Titelgewinn.
„Einfach geil, das ist das, was wir uns erhofft haben“, sagte Torschütze Nelson Weiper: „3:0 Frankreich weggeschickt – und jetzt wollen wir noch die Engländer wegschicken.“ Neben Weiper (8. Minute) trafen Nick Woltemade (14.) und Brajan Gruda (90.+3) für die auch im fünften Spiel extrem effiziente deutsche Mannschaft.
Weiper hatte gegen Frankreich den Vorzug gegenüber Nicole Tresoldi erhalten, mit dem Experten in der Startelf gerechnet hatten. Di Salvo aber setzte auf Weiper – und fühlte sich bestätigt. Nicht nur diese Maßnahme zeigte, wie der Sohn italienischer Einwanderer in seiner Rolle als Chefcoach gereift ist. Der frühere Profi hatte bis 2021 zehn Jahre als Assistent gearbeitet, erst beim FC Bayern und der deutschen U19, ab 2016 war er Co-Trainer von Stefan Kuntz bei der U21.
Beeindruckende Serien
Der Start in Verantwortung endete 2023 dann mit beschriebenen Vorrundenaus. Doch im Anschluss gelang es Di Salvo, eine Mannschaft zu formen, die geschlossen wirkt – und gespickt ist mit Spielern, die trotz junger Jahre schon nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Stürmer Woltemade sei an dieser Stelle genannt, Mittelfeldspieler Rocco Reitz oder Abwehrspieler Max Rosenfelder, der gegen Frankreich verletzt raus musste.
Di Salvos Mannschaft spielte nach dem EM-Aus 2023 eine überzeugende Qualifikation und war zwischenzeitlich 15 Spiele in Folge ohne Niederlage. Diese Serie endete erst kurz vor dem Turnier, als es in einem Test über dreimal 30 Minuten ein 1:2 gegen Finnland gab.
Der Coach aber störte sich nicht an der Niederlage. Er und seine Mannschaft zogen Kraft und Lehren für das Turnier aus ihr. Beim DFB schätzen sie Di Salvo für seine Detailarbeit, aber auch für den Umgang miteinander sehr. Als Kuntz, der inzwischen als Sportvorstand beim Bundesliga-Aufsteiger Hamburger SV fungiert, 2021 nach dem zweiten EM-Titelgewinn seiner Ägide nach seinem damaligen Co-Trainer gefragt wurde, erzählte er etwas, das viel über Di Salvo aussagt. „Toni“ sei einer, der nicht leicht zu überzeugen sei. Die Zusammenarbeit mit ihm könne anstrengend sein. Er hinterfrage vieles, und Einwände äußere er gerade dann beharrlich, wenn die Mehrheit anderer Meinung sei. Diese Erfahrung aus fünf Jahren Zusammenarbeit ließ Kuntz kurz wirken. Dann sagte er: „Aber er macht mit jedem seiner Kommentare unsere Entscheidungen besser.“
Mit Detailversessenheit und Beharrlichkeit zum Erfolg
Im Gegensatz zu Ex-Boss Kuntz, der als Spieler mit Deutschland 1996 den EM-Titel gewann, ist Di Salvos Profikarriere überschaubar. Der 1,84 Meter große Stürmer lief für seinen Heimatverein SC Paderborn in der Regionalliga auf, ehe er 2000 zum FC Bayern wechselte. Für den Rekordmeister absolvierte er nur acht Pflichtspiele und zählte auch beim Gewinn der Champions League im Finale 2001 gegen Valencia nicht zum Kader.
Danach versuchte er sein Glück bei Hansa Rostock, wo er in 120 Partien 25 Tore erzielte. Über die Stationen 1860 München und den Kapfenberger SV (Österreich) ließ der Vater zweier Kinder 2010 seine aktive Laufbahn ausklingen.
Insgesamt zählt Di Salvo also zu jenen Übungsleitern, deren Spielerkarriere unspektakulär verlief. Bundestrainer Julian Nagelsmann gehört auch dieser Kategorie an. Was Kuntz mit der Bewertung seines früheren Assistenten aber meinte, wird nun bei der aktuellen EM deutlich: Wie Detailversessenheit und Beharrlichkeit eine Mannschaft zum Erfolg führen können.
Das besondere Gespür für den Umgang mit Talenten besitzt Di Salvo ebenso wie Horst Hrubesch, der beim U-21-EM-Triumph 2009 Coach war und gerade erst seinen Job als Nachwuchschef beim Hamburger SV beendete. Denn die aktuelle deutsche U21 ist wieder besser geworden, was im Vergleich zur A-Mannschaft schon viel wiegt. 2023 etwa musste Di Salvo es hinnehmen, dass die damals 20 Jahre alten Ausnahmespieler Florian Wirtz und Jamal Musiala ihm nicht mehr zur Verfügung standen, da sie fester Bestandteil der A-Mannschaft waren.
Bis zu 50 Spieler hat Di Salvo in den vergangenen zwei Jahren getestet – und nun einen Kader zusammen, der laut Sportdirektor Rudi Völler das „Traumfinale“ erreicht hat: „Deutschland gegen England – mehr geht nicht. Ich freue mich darauf. Es wird sicherlich ein großes Spiel und hoffentlich gewinnen wir – 2:1. Ich hoffe, dass ganz Deutschland die Daumen drückt.“
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