Zu Saisonbeginn kannten nur die härtesten Fans seinen Namen, dann hat Kauã Santos (22) bei Eintracht Frankfurt die langjährige Nummer 1 Kevin Trapp (34) verdrängt und war plötzlich der beste Torwart der Liga. Es folgte ein Schock: Beim Aus im Europa-League-Viertelfinale gegen Tottenham riss sich der Brasilianer das hintere Kreuzband im rechten Knie, fällt aller Voraussicht nach bis September aus. Hier gibt der 1,98 Meter große Keeper (Schuhgröße 47,5) sein erstes großes Interview nach der Verletzung.
Frage: Herr Santos, das Wichtigste zuerst: Wie geht es Ihnen und dem Knie?
Kauã Santos: Die Heilung verläuft sehr gut, das Gefühl bei der Reha wird immer besser. Mein Ziel ist es, im Laufe der Vorbereitung wieder auf dem Platz zu stehen. Dafür arbeite ich hart. Zuletzt in Frankfurt, jetzt in Brasilien. Das Wichtigste ist, komplett fit zu werden.
Frage: Dass Sie überhaupt Profi wurden, ist fast schon ein Wunder ...
Santos: Ja, das stimmt. In meiner Heimat Vassouras in Brasilien haben die Kinder kaum Chancen, an Probetrainings teilzunehmen und sich so zu beweisen. Als ich neun Jahre alt war, starb meine Mutter, das war sehr schlimm für mich. Zum Glück waren meine Oma und Tante für mich da. Ich hatte also drei Mütter. Ich habe schon immer versucht, die positiven Seiten des Lebens zu sehen. Das habe ich von meiner Mama. Ich weiß, sie ist immer bei mir und hat mir geholfen, zu dem zu werden, der ich heute bin.
Frage: Ihr Profi-Traum lebte also weiter?
Santos: Ja, durch den Fußball habe ich mein Lachen nicht verloren. Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr. Schon damals wollte ich Profi werden. Obwohl die Chancen so gering waren, hatte ich keinen Plan B oder C. Diesen Traum wollte ich mir durch nichts und niemanden nehmen lassen, und ich habe hart dafür gearbeitet. Nach vielen Absagen von anderen Klubs habe ich es dann 2020 zu Flamengo geschafft.
Frage: Dort haben Sie sofort überzeugt und wechselten im Sommer 2023 zur Eintracht. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag in Frankfurt?
Santos: Ich weiß, dass ich überhaupt nichts verstanden habe (lacht). Ich konnte weder Deutsch noch Englisch. Als 20-Jähriger in einem fremden Land, ohne sich richtig verständigen zu können, war eine große Herausforderung. Vor allem, weil ich mich gern mit Leuten unterhalte und Scherze mache. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch.
Frage: Was war für Sie – neben der Sprache – die größte Umstellung, als Sie aus Brasilien kamen?
Santos: Pünktlich zu sein. Anfangs kam ich ein paarmal zu spät. Mal zwei, mal drei Minuten. Das hat mich Zimbo dann aber spüren lassen.
Frage: Sie bekamen eine Strafe.
Santos: Eher eine Arbeit. Er meinte zu mir, dass er mir mit dieser Einstellung nicht garantieren kann, dass ich es mal als Profi packe und ich mich vielleicht breiter aufstellen muss. Ich musste also um fünf Uhr morgens in die Küche des Trainingszentrums. Da habe ich geholfen, das Essen für Mitspieler und die Mitarbeiter zu kochen und habe ganz viel Obst und Gemüse geschnitten.
Frage: Und hat es geholfen?
Santos: Auf jeden Fall, dafür bin ich dem Trainer im Nachhinein sehr dankbar. Pünktlichkeit ist in Deutschland sehr wichtig, das habe ich dadurch gelernt. Mittlerweile bin ich immer einige Minuten früher da. Außerdem koche ich auch zu Hause für meine Frau und Tochter gern.
Frage: Werden Sie Ihren Spielstil nach der Verletzung anpassen und bei Flanken weniger aggressiv herauslaufen? Immerhin haben Sie sich bei so einer Aktion verletzt und machten auch ein paar Fehler ...
Santos: Nein, keine Chance! Ich liebe es, rauszukommen und durch die Luft zu fliegen. Das bin einfach ich, das hat mich stark gemacht und wird mich auch in Zukunft auszeichnen. Ich freue mich schon darauf, wieder auf dem Platz zu stehen und mit meinem Spiel weiterzumachen. Fehler gehören dazu, aus denen werde ich lernen.
Frage: Von welchen Torhütern schauen Sie sich etwas ab?
Santos: Vor allem von meinen beiden Landsmännern Alisson Becker (FC Liverpool; d. Red.) und Ederson (Manchester City, d. Red.). Sie gehören zu den besten Torhütern der Welt. Von beiden schaue ich mir viele Videos an. Bei Alisson achte ich vor allem auf das Positionsspiel und sein Verhalten in Eins-gegen-eins-Duellen mit den Stürmern. Seitdem habe ich mich darin stark verbessert. Ederson ist am Ball Weltklasse. Deswegen habe ich mir angeschaut, wie genau er den Fuß bei Pässen hält und welche Entscheidungen er trifft.
Frage: Bei der WM 2026 könnten beide ihre Teamkollegen werden – wenn Sie der neue Seleção-Trainer Carlo Ancelotti nominiert. Wie groß sind die Chancen, die Sie sich ausrechnen?
Santos: Ich rechne mir gute Chancen aus, eines Tages für Brasilien zu spielen. Ob ich es schon schaffe, bei der nächsten WM dabei zu sein, weiß ich nicht. Ich werde auf jeden Fall alles dafür tun.
Frage: Hat Claudio Taffarel, der Torwart-Trainer der Seleção, Ihre Nummer schon?
Santos: Ja, hat er. Er hat mir eine Nachricht geschrieben, als ich in der Hinrunde ein paar Spiele gemacht habe und dort unter anderem einen Elfmeter gegen Besiktas Istanbul gehalten habe. Dafür hat der Trainer mir gratuliert und gesagt, dass ich so weitermachen soll. Es hat mich sehr gefreut, weil ich jetzt weiß, dass er mich auf dem Schirm hat.
Frage: Auf dem Schirm hat Sie seit dem 3:3 in der Hinrunde gegen Bayern München auch Thomas Müller. Von ihm wurden Sie nach Abpfiff für tolle Paraden gelobt.
Santos: Er ist eine Legende. Ich habe mich sehr gefreut, als er nach dem Spiel diese Dinge über mich gesagt hat, denn er hat schon so viel gewonnen und erreicht. Ganz überrascht war ich aber nicht.
Frage: Warum?
Santos: Weil er schon auf dem Platz direkt zu mir kam, als ich in der Nachspielzeit seinen Schuss gehalten habe. Da hat er gefragt: „Was ist denn mit dir passiert? Wie kannst du so einen Ball halten?“ Er war auf jeden Fall sehr überrascht, das hat mich sehr stolz gemacht.
Frage: Und was haben Sie geantwortet?
Santos: Ich habe nur gesagt: „Tut mir leid, ich habe nur meinen Job gemacht und gezeigt, was ich draufhabe.“ (lacht)
Frage: Das konnten Sie in 14 Pflichtspielen. Bis zu Ihrer Verletzung deutete alles darauf hin, dass Sie im Tor bleiben werden. Hat Ihnen Trainer Dino Toppmöller gesagt, dass Sie die neue Nummer eins sind?
Santos: Mit mir hat keiner darüber gesprochen, wer jetzt die Nummer eins oder Nummer zwei ist. Das war aber auch nicht nötig. Ich habe einfach meinen Job weitergemacht und gezeigt, was in mir steckt. Leider habe ich mich dann verletzt und konnte das für den Rest der Saison nicht mehr.
Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Torwart-Kollegen Kevin Trapp?
Santos: Gut. Das war es von Beginn an. Kevin spricht Portugiesisch und hat mir damit sehr geholfen. Wir lernen viel voneinander, es ist ein gesunder Wettkampf.
Frage: Gehen Sie davon aus, dass Sie nach Ihrer Rückkehr direkt wieder spielen?
Santos: Erst mal heißt es für mich, fit zu werden. Aber natürlich hoffe ich, dass ich dann auch direkt wieder im Tor stehen darf. Darauf habe ich so hart hingearbeitet. Aber es geht hier nicht um mich. Am Ende entscheidet der Trainer, was das Beste für die Mannschaft ist.
Frage: Ihr Können rief bereits große Klubs wie Manchester United auf den Plan. Trotzdem haben Sie in Frankfurt vorzeitig bis 2030 verlängert. Warum?
Santos: Die Verantwortlichen in Frankfurt haben riesiges Vertrauen in mich gezeigt. Sie wollten weiter mit mir zusammenarbeiten, bevor es diese Gerüchte überhaupt gab. Sie trauen mir hier noch sehr viel zu, deswegen war mir klar, dass ich hier verlängern will. Ich will mich als Torwart etablieren, gute Leistungen zeigen und so viel wie möglich erreichen.
Frage: Das bedeutet, Sie wollen Titel mit Eintracht gewinnen?
Santos: Natürlich. Wenn ich antrete, will ich auch gewinnen. Der Verein hat mit dem DFB-Pokal- und Europa-League-Sieg, aber auch mit unserem Einzug in die Champions League mehrfach gezeigt, dass hier Großes möglich ist. Ich will mithelfen, dass solche Erfolge wiederholt werden.
Frage: Und nachdem Sie mit Eintracht Titel geholt haben, werden Sie Nachfolger von Manuel Neuer bei den Bayern?
Santos: (lacht) Manuel ist ein Vorbild für jeden Torwart. Jeder Torhüter, der jetzt kommt, hat von ihm gelernt. Mit etwas anderem beschäftige ich mich aktuell nicht, denn mein ganzer Fokus liegt nur auf Eintracht Frankfurt.
Frage: Ein Bayern-Trikot haben Sie aber schon zu Hause hängen …
Santos: Das stimmt. Ich wollte mir nach dem Heimspiel gegen Bayern das Trikot von Manuel Neuer sichern. Deswegen bin ich nach Abpfiff zur Bayern-Kabine. Leider stand er wohl gerade unter der Dusche. Serge Gnabry ist dann aber rein und hat mir das Trikot noch besorgt. Das hat mich sehr gefreut.
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, Sport Bild, Bild) erstellt und zuerst in Sport Bild veröffentlicht.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke