Es ist erst das vierte Spiel für Thomas Tuchel als Nationaltrainer von England - und schon steht er massiv in der Kritik. Nach drei nicht überzeugenden Siegen in der WM-Qualifikation verliert Tuchels Löwen nun ein Testspiel. Danach herrscht große Wut.
Vor einem Jahr brachen Englands Fußballer zu einer grausamen EM-Reise auf. Im "Shithole" Gelsenkirchen fing alles an und endete im Berliner Olympiastadion. Im Finale war Spanien schließlich zu stark. Das Spiel der Three Lions war zum Abgewöhnen, aber erfolgreich. Der nicht sehr geliebte Trainer Gareth Southgate trat danach ab und machte Platz für Thomas Tuchel. Der Deutsche möchte im kommenden Jahr Weltmeister werden. Aber nach diesem Dienstagabend deutet nichts darauf hin, dass er auch in die Nähe des Ziels kommen könnte. England verlor ein Testspiel vor eigenem Publikum gegen den Senegal mit 1:3. Und wieder ist alles zum Abgewöhnen.
Sportlich hat die Niederlage keine Konsequenzen. Ein Testspiel bleibt ein Testspiel. Und dennoch ist im City Ground etwas Fatales passiert. Die Fans wendeten sich von der Mannschaft ab. Liebesentzug ist mit das Schlimmste, was einem Fußballteam passieren kann. In Scharen flüchteten sie weit vor Anpfiff. Die, die noch da waren, pfiffen die Superstars aus. Bei der EM war es noch anders gewesen. Da ertrugen sie den schrecklichen Beamtenkick mit Ironie und tanzten sich den Fußball-Biedermann auf den Tribünen aus den Knochen. Oh "sweet caroline"! Vergessen, verdrängt. Die Gegenwart heißt: oh my god, Thomas Tuchel!
Bellingham feuert den Ball aus Wut weg
Der Frust saß tief. Überall. Bei den flüchtenden und buhenden Fans, bei Tuchel, bei den Spielern. Real Madrids Superstar Jude Bellingham feuerte etwa einen Ball nach Abpfiff aus Wut über alles in den Nachthimmel über Nottingham. Kurz zuvor war sein Team ein letztes Mal an diesem Abend blamiert worden. Cheikh Tidiane Sabaly vom FC Metz hatte in der 93. Minute das 3:1 für den großen Außenseiter erzielt. Curtis Jones vom FC Liverpool vertändelte im Aufbau den Ball. Die Afrikaner konterten schnell und gnadenlos. Der Sieg war unter Dach und Fach.
Zehn Minuten zuvor war die englische Welt eigentlich wieder in Ordnung geraten. Nach einem Eckball hatte Bellingham den Ausgleich erstochert. Der Jubel war riesig, doch dann schaltete sich der VAR ein. Der Ausgleich zum 2:2 zählte aufgrund eines Handspiels in der Entstehung zu Recht nicht. Tuchel winkte ironisch lächelnd ab.
Nun war es nicht so, dass England über 90 Minuten chancenlos war. Sie waren früh in Führung gegangen. Harry Kane hatte getroffen. Wer sonst? Aber danach wurde es extrem wild. Der Senegal war agil, mutig und von den Löwen nicht zu schnappen. So wurde deren Keeper Dean Henderson zum besten Mann. Gleich mehrfach war er zur Stelle, um gefährliche Situationen zu entschärfen. Und je mutiger die Gäste wurden, desto mehr zogen sich die früh pressenden Engländer zurück. Das nervte Tuchel, der seine Mannschaft nach dem enttäuschenden 1:0 in der WM-Quali gegen Andorra massiv umgebaut hatte: Sein Team habe phasenweise "eingefroren, nicht aktiv genug" gewirkt, schimpfte er. Vor allem seine Defensive war nicht konkurrenzfähig. Zwei der drei Gegentore seien zudem "sehr einfach" gefallen, befand Tuchel.
Viel zu schnell und viel zu einfach
Beim Ausgleich ging einfach alles zu schnell für die Engländer, trotz eines Sprinters wie Kyle Walker, der Ismaila Sarr im Zentrum nicht folgen konnte. Der Mann von Crystal Palace drückte eine eigentlich blind herein geschlagene Flanke über die Linie (40.). Noch einfacher ging's beim 2:1. Abwehrchef Kalidou Koulibaly überspielte mit einem langen Ball die blamierte englische Abwehr, Habib Diarra konnte durchlaufen, wollte kurz vor dem Tor in die Mitte passen, Keeper Henderson ging dazwischen und fälschte den Ball dadurch unglücklich ins eigene Tor ab (62.)
Die Besetzung der letzten Kette dürfte dem Coach in den kommenden Monaten am meisten Sorgen bereiten. Ist die Mannschaft vorne bestens aufgestellt, so wird es hinten doch immer dünner. Aber auch die Offensive kommt unter Tuchel nicht so in Gang, wie es die Namen um Kane, um Bellingham, um Bakayo Saka versprechen würden. Gegen Senegal blitzte nur gelegentlich auf, wozu die Stars in der Lage sind. Doch einen zweiten Treffer erzielten sie nicht mehr, auch weil die ehemalige Nummer eins des FC Chelsea, Édouard Osoque Mendy (mittlerweile in Saudi-Arabien) ein paar hexende Momente hatte. Als versöhnliche Erklärung der Leistung reichte das aber nicht.
"Tuchels Flitterwochen" beendet
Schon nach dem dünnen Sieg in Andorra war die englische Presse wütend, sprach von einem der "peinlichsten Ergebnisse" der Geschichte. Nun legten die Zeitungen nach: Der "Daily Star" etwa erklärte "Tuchels Flitterwochen" für beendet und stellte bereits infrage, ob England es in dieser Form überhaupt zur WM in den USA, Kanada und Mexiko in einem Jahr schaffen wird. Die "Sun" pöbelte: "Vom Senegal verprügelt. Die Three-Lions-Flops werden nach einer demütigenden Niederlage für Thomas Tuchel und einem beschämenden Auftritt vom Platz gebuht." Und der "Guardian" stellte fest, dass dieses Spiel Tuchel "eine weitere Falte auf seiner Stirn, viel Stoff zum Nachdenken und noch mehr Buhrufe" gebracht habe.
Torschütze Kane gab sich selbstkritisch, bat aber auch um Geduld für den Weg. Er kennt Tuchel ja bereits aus der Zeit beim FC Bayern und war immer sehr angetan von dessen Arbeit. "Wir werden nicht in Panik verfallen", sagte er: "Aber wir wissen, dass wir es besser machen müssen." Die Gründe seien vielfältig. "Neue Ideen, neue Spieler ohne viel internationale Erfahrung. Es ist ein Mix, aber das sind keine Entschuldigungen. Wir müssen es schnell hinkriegen, die WM wird sehr schnell näherkommen. Deshalb wird jeder Lehrgang jetzt sehr wichtig." Tuchel und England, das galt mit Dienstbeginn im Januar als spektakulärstes Experiment im Weltfußball. Es droht früh, sehr früh zu scheitern.
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