Alexander Zverev startet begeisternd in die Tennissaison, mal wieder ist der Deutsche ganz nahe dran an seinem großen Traum vom ersten Grand-Slam-Triumph. Doch danach wird es desaströs. Nun macht er es sich auch noch selbst wieder schwer - und sorgt für Zweifel.
Es fing alles ziemlich gut an für Alexander Zverev: Deutschlands bester Tennisspieler dominierte Novak Djokovic im Viertelfinale der French Open einen Satz lang, Zverev jagte den Serben an diesem Frühsommerabend bei angenehmen 20 Grad Celsius quer über den mächtigen Court Philippe-Chartrier. 6:4 hieß es nach 46 Minuten. Der 1,98-Meter-Hüne hatte den ersten Schritt gemacht in Richtung seines fünften French-Open-Halbfinals in Serie. Und vor allem auf dem Weg zum so sehnlichst erwarteten ersten Grand-Slam-Titel seiner erfolgreichen aber unvollendeten Karriere.
Doch dann ging alles den Bach runter: Rekord-Grand-Slam-Sieger Djokovic, der mit 38 Jahren längst seine einstige Magie verloren hat, die ihn nahezu unschlagbar machte, lehnte sich auf. Und Zverev ging unter: 6:3, 6:2 und 6:4 gehen die drei letzten Sätze an Djokovic. Und Zverev geht geschlagen vom Platz, mal wieder. Schuld daran ist: die Temperatur an diesem Pariser Sommerabend. Sagt Zverev. Die Wahrheit ist natürlich eine ganz andere - und für Zverev bitter wie ärgerlich.
"Kann er mir nicht erzählen"
"Es war sehr kalt, deshalb war die Geschwindigkeit bei meinem Aufschlag nicht besonders hoch", erklärte Zverev seine Pleite. Zu Beginn der Partie habe auf dem Court Philippe-Chatrier noch die Sonne geschienen und es seien um die 20 Grad gewesen. "Da konnte ich noch ein paar Winner spielen und Schaden mit meinem Aufschlag anrichten." Danach habe es sich aber deutlich abgekühlt, das Spiel sei dadurch langsamer geworden. "Ab einem gewissen Punkt hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr wusste, wie ich gegen ihn einen Punkt von der Grundlinie machen soll", schilderte Zverev nach dem nächsten geplatzten Traum von einem Grand-Slam-Titel. "Ich hatte das Gefühl, dass er auf alles, was ich mache, eine Antwort hatte", sagte Zverev und fügte anerkennend hinzu: "Er hat heute besser gespielt als ich."
Doch wo Djokovic seine Matches früher durch seine übergroße Klasse gewann, hat Zverev diesmal das Spiel verloren. "Er erklärt es damit, dass es in Satz eins 20 Grad Celsius waren, das Spiel schneller war und er die Vorhand mehr ziehen konnte. Aber in den Sätzen zwei, drei und vier... Es gab ja keinen Temperatursturz", schimpfte die einstige Weltklassespielerin Barbara Rittner, die während des Turniers als Expertin für Eurosport arbeitet. "Das kann er mir nicht erzählen."
"Das alte Spiel"
Zverev hat es mal wieder nicht geschafft, auf höchstem Niveau zu adaptieren, sich mit verändernden Bedingungen und vor allem einem Gegner zu arrangieren, der innerhalb des Matches sein Spiel umstellt. Djokovic dagegen fand nach dem ersten Satz, in dem Zverev ihn mit der puren Wucht seiner mächtigen Grundschläge erdrückte, gleich ein ganzes Maßnahmenpaket, den stärkeren Gegner seiner Stärken zu berauben: Der 38-Jährige spielte Zverev immer wieder tief in die schwächere Vorhand, attackierte wohldosiert und spielte immer häufiger Serve-and-Volley. Und dann natürlich das: 44 (!) Stoppbälle spielte der Serbe und zermürbte den Weltranglisten-Dritten damit.
"Der Matchball war bezeichnend. Er ist ganz locker dran, hätte ihn normal spielen können - und schiebt ihn dann ins Aus", sagte Rittner. "Ich konnte es selber gar nicht fassen. Sascha hat wirklich oft, wenn er am Stoppball dran war, die falsche Lösung gefunden." Zverev, der nach dem starken ersten Satz immer weiter hinter die Grundlinie zurückwich und dem Routinier die Initiative überlies, fand auf Djokovics neue Ideen keinerlei Mittel. "Das alte Spiel eben", sagte Rittner.
Dass sich der Deutsche scheinbar wehrlos in sein Schicksal ergab, trieb wiederum Boris Becker zur Weißglut: "Es ist auch ein Stück weit respektlos. Wenn ich gegen einen Spieler gespielt hätte, der hätte mir den fünften Stopp gespielt, dem hätte ich beim sechsten Stopp einen Schlag so in den Bauch gezogen, der würde nie wieder einen Stopp spielen", sagte das deutsche Tennisidol als Experte bei Eurosport. "Ich wäre da anders mit dem Ball umgegangen - und viele andere Spieler übrigens auch."
"Habe genug von dem Scheiß"
Zverev jedoch verlegte sich in seiner Analyse auf die Bedingungen - es ist ein bekanntes Muster: Beim Aus beim Masters-Turnier im Mai gegen Lorenzo Musetti (6:7, 4:6) hatte der Deutsche auf die Bälle geschimpft. "Die Bälle waren ein Witz heute. Sie sagen, wir spielen in Monaco, Madrid und München mit den gleichen Bällen. Dann kommen wir hierher und die Bälle sind ganz anders. Sie sind sehr groß. Es ist schwierig, hier Winner zu schlagen", sagte Zverev. Es sei "kein Wunder, dass der Typ (Musetti) sechs Fuß hinter der verdammten Grundlinie" stehe. "Es ist unmöglich, mit diesen Bällen Tennis zu spielen. Wenn das unterhaltsames Tennis sein soll, weiß ich nicht, was zum Teufel wir hier tun. Ich habe genug von diesem Scheiß."
Dass der eher defensiv agierende Musetti nicht nur genauso viele Winner wie er selbst (20) schlug, sondern gleich 14 vermeidbare Fehler (22:36) weniger produzierte, unterschlug der Deutsche in seiner Analyse. Auch, dass er keine Mittel fand, um auf Musettis Spiel zu reagieren. Es war Zverevs dritte Niederlage in Serie gegen den Italiener.
Zverev, mit 28 Jahren unter den hochbegabten und schon hocherfolgreichen mehrfachen Grand-Slam-Siegern Carlos Alcaraz (22 Jahre alt) und dem kommenden Dominator Jannik Sinner (23) in der Weltspitze längst Teil einer überholten Generation, sieht den großen Traum vom ersten Grand-Slam-Titel nach vier Finalniederlagen längst in der Götterdämmerung verblassen. Der Finalniederlage gegen Jannik Sinner bei den Australian Open im Januar (3:6, 6:7, 3:6) folgten desaströse Monate, eine Enttäuschung reihte sich an die nächste, nur das zweitklassige Turnier in München konnte er gewinnen. In den ersten vier Matches bei seinem liebsten Grand-Slam-Turnier hatte Zverev zumeist überzeugt und nur einen Satz verloren. Doch nun, bei der großen Herausforderung, verlor der Deutsche seine Linie, verfiel aus der Dominanz in die Passivität.
"Man hat den Eindruck, dass er gegen die Topspieler im selben Trott spielt und darauf hofft, dass das Ergebnis gut wird", sagte Boris Becker. "Das reicht gegen die Spieler jenseits der Top Ten, aber gegen die oberen Fünf musst du dich mal weiterentwickeln." Bei Grand-Slam-Turnieren gewann Zverev bisher nur fünf Matches gegen Top-10-Spieler, 18 Mal ging er geschlagen vom Platz.
Immer und immer weiter wünschen sich Experten, dass Zverev seine zu oft das Ruder übernehmende Passivität loswerden müsse, stattdessen aktiv seine gewaltigen Qualitäten bis zum letzten Punkt auf den Platz zu bringen. "Gegen Superstars wie Djokovic oder auch Sinner und Alcaraz musst du die Punkte machen. Du musst derjenige sein, der aggressiver agiert und an den Sieg glaubt", beschwört Becker einen grundlegenden Wandel in der Taktik des besten deutschen Tennisspielers seiner Generation. Experten wünschen sich seit jeher, dass Zverev viel näher an der eigenen Grundlinie agiert.
"Was will Sascha?"
Damit dies gelingt, wäre laut Becker ein Trainerwechsel bei der deutschen Nummer eins nötig. "Irgendwann brauchst du neue Geräusche und ein neues Umfeld", sagte Becker. Aus seiner Box bekommt Zverev in der Regel während der Matches kaum Impulse. Ein Konzept, das immerhin zu 24 Karrieretiteln und bis auf Platz 2 der Weltrangliste geführt hat. Doch der letzte große Schritt, der an die Spitze der Welt und zum ersten Grand-Slam-Erfolg will und will nicht gelingen. "Die Frage ist: Was will Sascha? Ist er zufrieden damit, die Nummer zwei der Welt zu sein? Ist er zufrieden mit einer bis dato hervorragenden Tennis-Karriere?", fragt sich auch Becker. "Oder sagt er, dass er es nochmal wissen will und alles auf den Kopf stellt?"
Zverev, der derzeit von Vater Alexander Senior als Trainer und Bruder Mischa als Manager betreut wird, hat in der Vergangenheit zahlreiche große Namen verschlissen: In der Vergangenheit hatte er unter anderem bereits mit Ivan Lendl, Juan Carlos Ferrero, David Ferrer und Sergi Bruguera zusammengearbeitet. In der alten Konstellation verfällt Zverev zu oft in alte Muster - und verschwendet seine wertvolle Zeit. Schon in drei Wochen trifft sich die versammelte Weltklasse in Wimbledon zum nächsten Grand-Slam-Turnier.
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