Bei der 1:2-Niederlage im Halbfinale der Nations League verfällt die DFB-Elf in alte Muster. Vor allem für einen ist es ein bitterer Abend: Kapitän Joshua Kimmich. Denn was sehr emotional beginnt, kippt danach ins Ärgerliche.
Es war nicht die einzige Überraschung, die auf Joshua Kimmich an diesem Abend wartete. Als er die Treppen im Bauch der Münchner Allianz Arena hinabsteigt, entfährt ihm ein lautes "WAS?". Als vorderstes Einlaufkind steht da sein Sohn, der den DFB-Kapitän zu seinem 100. Länderspiel für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft aufs Feld führt wird. "Das war tatsächlich sehr emotional", wird Papa Kimmich dazu später sagen.
Alles andere an diesem Fußballabend im Nations-League-Halbfinale war es weniger. Die DFB-Elf verliert nicht nur das Spiel gegen Portugal 1:2 (0:0) und die Chance auf den ersten Titel seit 2017. Sie überrascht auch ihren Kapitän - vor allem negativ. "Wenn man zurückblickt, dann ist es uns in den letzten anderthalb Jahren nicht häufig passiert, dass wir von unserer Top-Performance so weit weg waren", analysiert der sichtlich enttäuschte Kimmich später, bevor er in den Mannschaftsbus steigt. Man könnte auch sagen, dass es die schlechteste Leistung der vergangenen anderthalb Jahre war.
Klar, da ist diesmal die lange Liste der Absagen. Doch bisher hat es die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann eigentlich immer geschafft, ihre Ausfälle zu kompensieren. Diesmal fehlte jedoch mit Jamal Musiala, Kai Havertz, Antonio Rüdiger und vielleicht auch Nico Schlotterbeck ein Teil der Startaufstellung, der systemrelevant ist, wie sich herausstellte. Hinzu kommen die Abreise von Angelo Stiller oder die Nicht-Anreise von Yann Aurel Bisseck. Das Spiel lässt sich ewig weiter spinnen, am Ende stand eine Rumpfelf gegen Portugal auf dem Rasen, die so wohl nie wieder zusammenspielen wird. Überraschend durfte Robin Koch beginnen, sogar Nick Woltemade kam zu seinem Debüt. Warum auch nicht.
"Schläfrig" auf dem Platz und der Bank
Ganz bewusst hatte Nagelsmann in den vergangenen Tagen betont, dass die Ausfälle kein Argument für eine schlechte Leistung sein dürfen. Schließlich hat das in den vergangenen anderthalb Jahren doch immer wieder geklappt. Stattdessen beschwor er das Selbstverständnis, das in der DFB-Elf seit der Europameisterschaft im eigenen Lande gewachsen ist. Es gebe nur einen Weg, um das zu pflegen: Nämlich immer alles gewinnen zu wollen, was sich nur irgendwie gewinnen lässt.
Doch genau das hat gefehlt: Es war nicht so, als wäre Portugal unschlagbar gewesen. Besonders in der ersten Hälfte spielte das Team um Cristiano Ronaldo seine Konter schlampig aus, aus den wenigen Drangphasen der DFB-Elf konnten sie sich nicht immer befreien. Und so gab es auch Chancen auf eine frühe DFB-Führung, etwa zweimal durch Leon Goretzka. Der Bundestrainer tigerte durch seine Coachingzone, versuchte irgendwie noch, das Spiel zu beeinflussen, die Protagonisten auf dem Feld aufzuwecken.
Ohne Erfolg: Die DFB-Elf blieb weiterhin "sehr schläfrig", wie es Bundestrainer Nagelsmann nach Abpfiff formulierte. Er habe gar keine Lust, da großartig draufzuhauen, sagte er. Wissentlich, dass es viele Ansatzpunkte gab. Angefangen bei den verstolperten Konterversuchen, bis hin zu dem Sicherheitsabstand, den die DFB-Verteidiger manchmal zu ihren Gegenspielern bewahrten. Dennoch ging die Nagelsmannschaft nach der Halbzeit überraschend in Führung: Nach einer sehenswerten Kombination von Kimmich und Florian Wirtz, einem der wenigen Lichtblicke (und das ausgerechnet in München).
Und irgendwie wurde das Führungstor zum Problem. Die DFB-Elf stellte nun völlig die eigenen Bemühungen ein. Beide Trainer reagierten darauf - und offenbarten das Dilemma des aktuellen DFB-Kaders. Nämlich seine Grenzen. Denn die Möglichkeiten des Bundestrainers sind nicht unbegrenzt. Nach dem Dreifachwechsel der starbesetzen Portugiesen tauschte Nagelsmann selbst seltsamerweise ebenfalls dreimal. Die ohnehin unsortierte DFB-Elf musste sich einmal mehr neu sortieren. Mit Folgen: Die Lücken nahmen erst Francisco Conceicão mit einem sehenswerten Schlenzer und dann Altmeister Cristiano Ronaldo dankbar an. Der 40-Jährige erfüllte damit seine ganz eigene Mission - den ersten Sieg gegen das DFB-Team.
"Ich war nie Überflieger oder Durchstarter"
All das ist besonders bitter für einen, der dafür gar nichts kann: Kapitän Kimmich. Das 100. Länderspiel für die DFB-Elf sollte sein besonderer Abend werden. Er steigt damit in einen Klub auf, der keine 20 Mitglieder hat. Spätestens als vor dem Spiel die Nationalhymne erklang, habe es ihn gepackt. "Vor allem, wenn ich zurückblicke: Ich war in der Jugend nie der Überflieger oder der Durchstarter", sagte 30-Jährige nach Abpfiff im Bauch der Arena. "Wenn ich heute die Jungs sehe, die spielen alle schon mit 17 oder 18 Jahren in der Bundesliga." Er selbst sei weit davon entfernt gewesen. "Ich weiß, wie hart der Weg bis hierhin war."
Seine Beziehung zum DFB-Team war nie einfach. Kimmich gehört zu der Spielergeneration, die die Nationalelf nur als Krisenherd kennengelernt hat. Mit dem DFB-Team habe er in den vergangenen neun Jahren "viele Tiefen und Höhen" miterlebt, sagte er noch vor ein paar Tagen. Die umgedrehte Reihenfolge der Redewendung ist kein Zufall: In seiner DFB-Vita stehen gleich zwei historische WM-Debakel (Russland und Katar) sowie ein Achtelfinal- und ein Viertelfinalaus bei zwei Europameisterschaften. Das letzte Halbfinale bei einem Turnier war 2016 bei der EM in Frankreich.
Und jetzt steht er wieder mit leeren Händen da und muss das nächste Ausscheiden analysieren. "Wir waren zu weit weg von unserem Limit", sagte Kimmich. "Ich habe nicht gemerkt, dass wir eine Siegermentalität haben, dass wir eine gewisse Gier haben, dass wir ins Finale wollen." Selbst nach der 1:0-Führung habe es sich für ihn nicht danach angefühlt, als wolle man ins Endspiel einziehen. "Ich glaube, da waren viele Dinge heute sehr schlecht." Am Sonntag (15 Uhr/RTL, DAZN und im ntv.de-Liveticker) geht es in Stuttgart um den dritten Platz und die Chance, das Turnier doch noch versöhnlich zu beenden.
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