Auf dem Platz fackeln die DFB-Frauen in der ersten Halbzeit gegen Österreich ein Torfeuerwerk ab. Der Kantersieg bringt das gute Gefühl für die EM, schürt aber auch Erwartungen. Die Euphorie bei Lena Oberdorf, zumindest reinschnuppern zu können, schlägt derweil um. Die 23-Jährige wird bei der EM fehlen.
Lena Oberdorf snackt auf der Tribüne und muss die bunte Tüte wegpacken für den Torjubel, Lena Oberdorf scherzt mit befreundeten Gegnerinnen nach dem Spiel, Lena Oberdorf steht beim Feiern mit den Fans zwischen Jule Brand und Carlotta Wamser. Immer wieder Lena Oberdorf. Die 23-Jährige ist quasi omnipräsent während dieser Länderspielphase des DFB-Teams. Nur auf dem Platz ist sie bekanntlich nicht zu finden. Zumindest nicht während der Spiele.
In Bremen gegen die Niederlande (4:0) und in Wien gegen Österreich (6:0) muss sie zusehen, wie ihre Teamkolleginnen sich in EM-Laune spielen. Wie die DFB-Frauen die Euphorie vor dem Turnier in der Schweiz (2. bis 27. Juli) entfachen. Nach den jeweils zumindest in der ersten Halbzeit katastrophalen Partien gegen ebenfalls Österreich sowie Schottland war die Skepsis noch groß, ob Deutschland überhaupt eine Rolle bei der EM spielen kann. Das Debakel der WM 2023 sitzt noch immer tief.
Euphorie ist zurück
Doch die Fans wollen vergessen - und die Hoffnungen sind vom Team geschürt. Die Euphorie "nehmen wir natürlich gerne mit", sagt Bundestrainer Christian Wück nach dem Kantersieg, dem letzten Spiel vor der Reise in die Schweiz. Klar ist aber auch: Österreich konnte sich nicht für die EM qualifizieren, die Niederlande können besser spielen als sie es gegen Deutschland gezeigt haben - und schon im EM-Viertelfinale wartet ein Duell mit der Gruppe um Titelverteidiger England, Top-Team Frankreich und eben die Niederlande. Doch Wück hat hohe Ansprüche: "Wir sind uns der Verantwortung bewusst: Wenn wir ein gutes Turnier spielen, kann der Frauenfußball in Deutschland vielleicht den nächsten Step machen."
Mit dem überraschenden EM-Erfolg 2022, als das Team Vize-Europameister wurde und die Nation begeisterte, war der Zug losgerauscht. Plötzlich regelmäßig Tausende Zuschauer, Trikots mit den Spielerinnennamen hinten drauf werden seitdem selbstverständlich und mit Stolz getragen. Länderspiele zur besten TV-Sendezeit. Die unerfreuliche Notbremse bei der WM in Australien nur ein Jahr später hat den Schnellzug nicht entgleisen lassen. Olympia-Bronze vor knapp einem Jahr hat ein paar mehr PS erzeugt. Der neue Bundestrainer Wück musste nach dem so kauzigen wie beliebten Horst Hrubesch aufspringen.
Weil Hrubesch für den kurzfristigen Erfolg als Verwalter auftrat, hat Wück eine Mammutaufgabe übernommen. Anders als Julian Nagelsmann bei den Männern hat er es nach außen nicht sofort geschafft, mit Charisma und flockigen Sprüchen zu überzeugen. Nach innen hat er sich mit den Nicht-Nominierungen mehrerer Spielerinnen Ärger zugezogen, weil diese sich öffentlich über die schlechte Kommunikation beschwerten.
"Vom Kopf her vielleicht noch nicht frei"
Dazu noch die unglückliche Kommunikation rund um Oberdorfs überraschende Kader-Berufung. Denn nun war Oberdorf mittendrin - und doch nur so halb dabei. Nach ihrem Kreuzbandriss hat sie seit zehn Monaten kein Spiel absolviert, ist Angestellte des FC Bayern ohne Einsatz. Und ihr Klub und der DFB einigten sich schließlich darauf, dass sie zwar dabei ist, aber nicht spielen darf. Das hatte Wück zunächst sprachlich verschleiert, hatte gesagt, Oberdorf sei "zu 100 Prozent einsatzfähig". Erst sie selbst gab dann die weiteren Absprachen bekannt - was für öffentliches Unverständnis sorgte.
"Obi ist ein ganz normaler Teil des Teams. Sie hat ganz normal mittrainiert, sie hat sich top eingefügt. Es geht ja nicht nur um Obi, es geht um die Mannschaft", sagte Wück vor dem Österreich-Duell. Aber auch: "Wir merken trotzdem, dass sie in der einen oder anderen Situation schon noch sehr in ihren Körper, in ihr Knie reinhört. Und da vom Kopf her vielleicht noch nicht frei ist." Nicht die beste Voraussetzung, um sich im defensiven Mittelfeld in jeden Zweikampf zu werfen, die robuste Abräumerin vor der Abwehr zu geben, als die sie vor ihrer schweren Knieverletzung für Aufsehen gesorgt und sich längst in die Weltelite gespielt hatte.
Während es zu Beginn der Nations-League-Gruppenphase gefühlt unvorstellbar erschien, dass das Team ohne Oberdorf Erfolg haben könnte, hat sich die Stimmung inzwischen gewandelt. Die Frankfurterin Elisa Senß hat sich festgespielt, auch die vielseitig einsetzbare Sjoeke Nüsken stellt eindrücklich unter Beweis, welch großen Schritt sie seit ihrem Wechsel zum FC Chelsea vor knapp zwei Jahren noch einmal gemacht hat. Mit Rebekka Knaak von Manchester City hat Wück zudem eine Innenverteidigerin ins Team berufen, die vor ihm kein Trainer auf dem Schirm hatte. Janina Minge hat er zur Co-Kapitänin ernannt und ihr damit mehr Gewicht verpasst, aber auch Vertrauen geschenkt.
Klassenfahrt oder echter Ernst?
23 Spielerinnen darf Wück zur EM mitnehmen. Für die Nations League hatte er 25 berufen. "Einfach dabei zu sein und dieses Flair mitzubekommen, ist schon cool", hatte Oberdorf gesagt. Es klang ein bisschen wie eine Klassenfahrt. Während es für die anderen Ernst ist.
Und diese Klassenfahrt hat nun ein Ende genommen. Denn nur Stunden nach dem Abpfiff gegen Österreich teilte Wück bereits seine Entscheidung mit: Oberdorf wird bei der EM fehlen. "Sie ist auf einem guten Weg, aber die EM kommt zu früh für sie. Wir möchten ihr Zeit geben, um sich vollumfänglich vorzubereiten, und freuen uns, sie in der neuen Saison wiederzusehen."
Schon im Vorfeld erschien es ohnehin den anderen gegenüber ein Stück weit unfair, wäre Oberdorf ohne Spielpraxis nominiert worden. Bei allem Spaß und Teamzusammenhalt: keine wird freiwillig ihren Platz freigeben. Bei aller Klasse, die Oberdorf in den Vorjahren zeigte, seit sie als 17-Jährige ihr Debüt bei der WM 2019 gegeben hat.
Bei eben jener WM hatte auch die jetzige DFB-Kapitänin Giulia Gwinn ihr Debüt gegeben. Damals schieden die Deutschen im Viertelfinale gegen Schweden aus. Diese sind nun die am deutlich stärksten einzuschätzenden EM-Gruppengegnerinnen neben Polen und Dänemark. Wie lange das schon her ist, zeigt, dass Gwinn sich seitdem aus gleich zwei Kreuzbandrissen zurückgekämpft hat. Inzwischen führt sie das DFB-Team nach dem Nationalelf-Rücktritt von Alexandra Popp mit der Binde aufs Feld. Und geht voran - gegen Österreich leitete sie unmittelbar nach Anpfiff das 1:0 durch einen langen Pass in die Tiefe ein. Nach nur 15 Sekunden versenkte Sydney Lohmann den Ball zum ersten Mal im Tor.
Es war der Auftakt der deutschen Tor-Gala, zu der Lohmann (39.) noch einen zweiten Treffer beisteuerte. Insgesamt wurden es sechs in den ersten 45 Minuten. Nach Lohmann trafen Lea Schüller (9.), Selina Cerci (26.), Klara Bühl (31.) und Laura Freigang (43.). Als Doppelpackerin war Lohmann gefragte Interviewpartnerin, was sie in der ARD launig kommentierte: "Lustig, man steht hier, wenn man Tore schießt." Sie selbst hat eine Durststrecke hinter sich. Allzu oft wird die hochveranlagte Offensivspielerin von ihrem Körper ausgebremst. Verletzungen mal hier, mal da. So fit habe er sie noch nie erlebt, hatte Wück jüngst gesagt.
Er hatte Lohmann in die Startelf beordert, nach dem überzeugenden Spiel gegen die Niederlande hatte er diese auf vier Positionen verändert. Das Blitz-Tor war eine Zusammenarbeit mit der ebenfalls in die Startelf gerückte Bundesliga-Torschützenkönigin Cerci, die den Ball von rechts in den Strafraum geflankt hatte. Wücks Wahl zahlte sich also sofort aus. Nach dem Abpfiff sprach er von einem "sehr dominanten Spiel". Aber auch: "Es hat sich einfacher angefühlt als es wirklich war. Es ist nicht einfach, gegen die Österreicherinnen zu spielen."
"Fußball lebt von Fehlern"
Dass sein Team den Kantersieg einfuhr, lag auch daran, dass Österreich mehrere Patzer der Deutschen nicht nutzte. Wück sagte dazu nach dem Spiel: "Der Fußball lebt von Fehlern. Wir müssen schauen, dass wir diese individuellen Fehler minimieren. Dafür müssen wir trainieren. Dafür brauchen wir aber auch das Selbstvertrauen, diese Pässe, die zu Fehlpässen wurden, besser auszuführen." Zuversichtlich ist er mit Blick auf den EM-Auftakt am 4. Juli gegen Polen aber dennoch: "Ich weiß, dass die Mannschaft sehr viel Selbstvertrauen bekommen hat durch die letzten Spiele, man darf nicht vergessen, 10:0-Tore in zwei Spielen, das ist genau die Überzeugung, die wir mit in die EM nehmen wollen."
Bis dahin wartet auf ihn noch die unliebsame Aufgabe, den Kader zu sortieren. Schon in der kommenden Woche, am 12. Juni, muss er fix sein. Der DFB hat sich den Europapark Rust ausgesucht, um die Bekanntgabe zu zelebrieren. Die wilde Achterbahnfahrt mit Oberdorf hat aber schon jetzt ein Ende.
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