Die Frage, wie viel der Klimawandel zum Unglück von Blatten beitrug, sei im Grunde irrelevant, sagt Permafrostforscher Martin Hölzle von der Universität Freiburg. Relevant sei das Gesamtbild.

SRF Wissen: Wie wichtig wäre es zu wissen, ob der Klimawandel das Unglück in Blatten ausgelöst hat?

Martin Hölzle: Aus meiner Sicht ist das irrelevant. Die Realität des Klimawandels ist überall. Die Erwärmung, die wir feststellen, in der Atmosphäre und in der Kryosphäre weltweit an allen Standorten, ist offensichtlich. Und sie hat Konsequenzen.

Es geschieht im Grunde genommen genau das, was wir seit Jahrzehnten haben kommen sehen, und wovor wir gewarnt haben.

Die Frage zu Blatten wäre ja, ob dieses eine Unglück auch ohne Klimawandel passiert wäre. Vielleicht können wir das sogar im Nachhinein noch klären. Aber die Frage ist doch, bringt uns diese Antwort wirklich weiter?

Sie erforschen Permafrost seit Jahrzehnten. Überrascht Sie, was Sie bei Ihren Messungen sehen?

Nein. Es geschieht im Grunde genommen genau das, was wir seit Jahrzehnten haben kommen sehen, und wovor wir gewarnt haben.

Frustriert Sie das?

Ja, schon. Wir schreiben seit Jahrzehnten immer das Gleiche in die IPCC-Reports rein. Wir haben vor Jahrzehnten schon gesagt, dass diese Folgen, die man jetzt sieht, kommen werden.

Und jetzt kommen sie, und nun sind viele Leute erstaunt. Deshalb ist es für mich wichtig, dass ich das jetzt deutlich sage: Wir haben das kommen sehen.

Gleichzeitig können Sie und Ihre Kollegen im Einzelfall, wie jetzt in Blatten, nicht sagen, wie konkret sich tauender Permafrost in den Bergen auswirken wird. Wie geht das zusammen?

Es ist ein grosser Unterschied, ob man sich die grosse Entwicklung anschaut, global und grundsätzlich, oder ob man Einzelereignisse anschaut. Global gesehen kommt es tatsächlich so, wie die IPCC-Berichte es skizziert haben. Wenn man dann Einzelereignisse anschaut, wird es schwer, das herunterzubrechen, und konkret zu sagen, was genau, wann wo passiert.

Aber das ändert nichts daran, dass das grosse Ganze sehr eindeutig ist. Wir haben jetzt 420 ppm Kohlendioxid in der Atmosphäre. Das hat es in den letzten Millionen Jahren gar nie gegeben. Und das hat weitreichende Konsequenzen. Die Leute sollten endlich begreifen, dass das relevant ist.

Werden Sie da nicht zu politisch?

Die Wissenschaftler, die ich kenne, die geben sich extrem Mühe, ihre Arbeit sorgfältig zu machen und belastbare Ergebnisse zu liefern, und sie sind sehr vorsichtig mit den Aussagen, die sie dann darüber machen. Auch ich bin vorsichtig. Aber ich finde, man muss die Wissenschaft doch auch berücksichtigen. Wir wollen ja eigentlich der Gesellschaft helfen, sich vorzubereiten auf zukünftige Zustände.

Sie machen Forschung vor Ort, unter anderem an der ältesten Permafrostmessstelle der Schweiz – im Engadin. Spüren Sie die Veränderungen dort?

Ja, ganz klar. Wir sind dort auf 2600 Metern Höhe, nahe dem Piz Corvatsch. Wir hatten mehrere Steinschläge, und ein grösserer Felssturz hat uns viele Messgeräte zerstört. Wir müssen wirklich aufpassen, wo wir unsere Messungen machen in Zukunft, um uns nicht selber bei der Forschung zu gefährden.

Das Gespräch führte Katrin Zöfel.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke