Sinnstiftung ist ein Lebensthema, egal ob die Menschen in vergangenen Jahrhunderten nach Begründungen für ein gutes Dasein suchen oder jetzt wissen wollen, warum sie morgens aufstehen. In widrigen Umständen, in Krisen und in Zeiten großen Glückes: Die Menschen sind an Erklärungen interessiert, weshalb und zu welchem Zweck sie auf Erden sind. Auch wenn die Antwort nur der Wind kennen sollte.

Der polnisch-amerikanische Sozialpsychologe Arie Kruglanski zeigt nun, wie das menschliche Bedürfnis nach Bedeutung das Handeln und Denken ebenso bestimmt wie Gefühle. „Das Bedürfnis nach Bedeutung und Wichtigkeit ist ein überragendes Grundbedürfnis, das alle Menschen haben“, schreiben Kruglanski und Dan Raviv in ihrem jetzt erschienenen Buch „The Quest for Significance“ (Taylor & Francis, 218 S.).

Kruglanski, Professor an der Universität Maryland, wurde 1939 in Lodz in Polen geboren. Er schreibt auch über seine Kindheit während des Holocaust. Das Buch untersucht, wie das Bedürfnis nach Bedeutung Menschen zu schädlichen und gewalttätigen Handlungen motivieren kann – einschließlich des Glaubens an Verschwörungstheorien.

Natürlich sei die moderne Gesellschaft durch Unsicherheiten geprägt, Kriege, autoritäre Regime, Finanzchaos, globale Gesundheitskrisen. Aber nicht die Unsicherheit allein beunruhige die Menschen. „Es ist ein Bedeutungsverlust, den die Unsicherheit mit sich bringt.“ Dies mache anfällig für eine bestimmte Art von Narrativen, die Ängste und Sorgen anerkennen und gezielt vermeintlich Schuldige finden. Deshalb häufen sich Verschwörungsmythen, die aufrufen, diese „Feinde“ zu bekämpfen und deren Pläne aggressiv zu vereiteln.

Angela Merkel als Echsenwesen

Kruglanski und Dan Raviv verweisen als Beispiel auf den rechten britischen Esoteriker David Icke, der die These von den Echsenmenschen auf der Erde ventiliert; diese ursprünglich außerirdischen Reptiloide planen demnach als Formenwandler die Weltherrschaft – darunter drei Dutzend US-Präsidenten, Queen Elizabeth II. und andere. „In eine so skandalöse und schockierende Wahrheit eingeweiht zu sein, gibt einem das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein“, erklären die Autoren.

Das sich selbst als eher bedeutungslos empfindende Publikum nehme das tendenziell ernst und fühle sich gestärkt. Die Männer und Frauen treffen dann in diesen Netzwerken Entscheidungen, um ihre Bedeutung zu erhöhen – und versuchen, einen Bedeutungsverlust zu vermeiden. Deshalb führen Aufklärung und Informationsvermittlung bei Verschwörungsmythen so oft ins Leere, denn sie stehen für Bedeutungsverlust.

Es ist für viele Menschen wesentlich einfacher und stabilisierender, sich zum Teil irren Ideen hinzugeben als sich einzugestehen, einem wüsten Quark aufzusitzen, demzufolge Angela Merkel ein Echsenwesen sei oder die Erde flach.

„In unserem Privatleben und auf der Weltbühne besteht die Herausforderung darin, Wege zu finden, unsere Bedeutung als Win-Win-Projekt zu stärken, anstatt durch ein erbittertes, wettbewerbsorientiertes Nullsummenspiel“, schreiben Kruglanski und Raviv. Als Schlüssel zur Besserung haben die Autoren die Selbsterkenntnis im Blick, freilich eine altbewährte Methode.

Vor mehr als 2000 Jahren stand am Apollotempel in Delphi in Griechenland bereits die Losung „Erkenne dich selbst“, gnothi seauton. Geholfen hat es insgesamt recht wenig. Selbsterkenntnis sei heute, heißt es in „The Quest for Significance“, „typischerweise Mangelware“. Menschen seien sich nämlich oft nicht bewusst, warum sie tun, was sie tun, und welche grundlegenden Motive ihren Entscheidungen und Handlungen zugrunde liegen.

Trotz der Bedenken sei es „vielleicht besser, sich der Wahrheit über sich selbst zu stellen und diese zu meistern“. Ein hohes Ziel. Voller Bedeutung auch.

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