In diesem März flog Sebastian Noe nach Los Angeles zur „Conference for Retroviruses and Opportunistic Infections“, kurz CROI. Als Vorstandsmitglied der Deutschen Aids-Gesellschaft wollte er sich dort wie jedes Jahr mit tausenden anderen Wissenschaftlern über die neuesten Erkenntnisse der Forschung zu HIV, Hepatitis und SARS-CoV-2 austauschen. Doch statt reger Debatten vor dicht an dicht gedrängten Posterständen fand er leere Wände und einige besorgte Pharma-Vertreter. Die meisten seiner US-Kollegen konnten nicht anreisen.

„In den vergangenen Wochen ist die Trump-Administration mit dem Vorschlaghammer gegen den ‚woken‘ Unsinn der radikalen Linken vorgegangen“, schrieb Mitte Februar der erzkonservative Senator aus Texas, Ted Cruz. Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusions-Initiativen (DEI) hätten seiner Meinung nach Forschungsbemühungen vergiftet, Vertrauen in die wissenschaftliche Gemeinschaft untergraben und die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft vorangetrieben. Dies solle nun korrigiert werden.

Neue Sprach-Verbote untersagen es deshalb nun, Wörter wie „Frau“, „Klimawandel“ oder „Ethnie“ in Forschungsprojekten zu verwenden. Tausende Mitarbeiter aus Gesundheits- und Lebensmittelbehörden wurden entlassen, universitäre Gelder gekürzt oder auf den Prüfstand gesetzt.

Ebenfalls unklar ist das weitere Schicksal der Regierungsorganisation USAID, deren Mitarbeiter zu 90 Prozent entlassen oder zwangsbeurlaubt wurden. Mit einem Budget von jährlich mehr als 40 Milliarden US-Dollar war sie bislang ein Leuchtturm der internationalen Entwicklungshilfe und verwaltete gut ein Viertel der globalen humanitären und zivilen Hilfsgelder. Diese grundlegende Neustrukturierung unter Trump trifft zwar auch die Gender- und Klimaforschung – aber bei Weitem nicht nur.

Eigentlich sind die USA eine wissenschaftliche Supermacht. Doch auf den diesjährigen Konferenzen ist vor allem die Abwesenheit von US-Forschern auffällig. An vielen Universitäten fehlt derzeit das Geld für Kongressreisen. Mitarbeitern der Nationalen Gesundheits-Institute (NIH) ist es gar auf Anordnung Trumps verboten, dienstlich zu verreisen – selbst innerhalb der USA.

Neue Sprachregeln mit Nebeneffekten

Dabei sind Konferenzen wie jene in Los Angeles essenziell für den Wissensaustausch und die effektive Vernetzung der internationalen Forschergemeinschaft. Dass von der Trump-Administration „ausgewählte“ Forschungsfelder sich und ihre Arbeit zurzeit nicht mehr präsentieren könnten, „kommt letztlich einer Zensur gleich“, sagt Sebastian Noe. Viele seiner Kollegen würden von Sorgen ihrer US-Kooperationspartner berichten. Die Angst: Sie könnten die Unterstützung für ihre Projekte verlieren, wenn diese „nicht in die Ideologie der amerikanischen Regierung passen“.

Dass der wissenschaftliche Kahlschlag nicht nur ‚woke‘ Forschung trifft, bestätigt etwa die folgende anonyme Krebsforscherin aus den USA. Sie arbeitet in einer leitenden Position für ein großes Krebsforschungsinstitut mit mehr als 1700 Mitarbeitern, darunter gut 270 Professoren. Auch ihr Institut sowie eine dazugehörige Universität und das Nationale Krebsinstitut (NCI) seien von den DEI-Maßnahmen der Regierung „stark betroffen“.

Anlässlich der neuen Sprach-Regelungen etwa werden sämtliche bereits gestellte Finanzierungsanträge nach den neuerdings verbotenen Wörtern durchsucht. Sind diese noch enthalten – völlig unabhängig vom Kontext – müssen die Anträge zunächst von Gutachterausschüssen geprüft werden, mit teils wochenlangen Wartezeiten. Unter anderem wurden gleich mehrere Drittmittelanträge markiert, weil sie sich auf „diverse Pflanzen in der Landwirtschaft“ bezogen und damit die verbotene Phrase „divers“ enthielten.

Auch wurde ein bereits bewilligter biomedizinischer Infrastruktur-Antrag der Universität in Höhe von 35 Millionen US-Dollar zwischenzeitlich gekündigt. An den Geldern hingen mehr als 100 Mitarbeiter. „Solche Verzögerungen sind schwer zu bewältigen“, sagt die Forscherin. Während dieser Zeit würden Labore, Karrieren, ganze Existenzen in der Schwebe hängen, da diese auf staatliche Finanzierung angewiesen sind.

Die Krebsforscherin sagt: „Die Auswirkungen auf die gesamte Gesundheitsforschung in den USA werden leider bald sichtbar sein“. Neben ersten Massenentlassungen an den staatlichen Gesundheitsbehörden NIH und NCI würden nun weitere 20.000 Kündigungen im Gesundheitsministerium folgen sowie weitere Kürzungen von Fördermitteln.

Derweil sagt die US-Regierung ganz offen, dass man sich bestimmten Themen aus der Wissenschaft nicht mehr widmen wolle. Klimawandel und Genderforschung gehören natürlich dazu. So wurde etwa die amerikanische Delegation vom Treffen des Weltklimarates im Februar in Hangzhou abgezogen, die weitere Finanzierung eingestellt. Wegen der Kürzungen können einige Klimadaten nicht mehr erhoben werden, was zu weniger akkuraten Vorhersagen von Extremwetterereignissen führt.

Das Infektionsrisiko steigt

Forscher aus aller Welt würden derzeit versuchen, die Daten zu retten, die US-Behörden vom Netz nehmen, sagt Katrin Böhning-Gaese vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Das sei aber extrem aufwendig.

Gesundheitsminister Kennedy – ein bekannter Impfgegner – betonte auch, dass zuletzt zu viel Geld in die Infektionsforschung geflossen sei. In diesem Bereich solle es für die nächsten acht Jahre keine weiteren Forschungsgelder mehr geben.

Ein besonders irritierendes Beispiel für die Maßnahmen sei das Vogelgrippe-Virus H5N1 in den USA, sagt Ulf Dittmer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie. Es gäbe derzeit einen „noch nie dagewesenen Ausbruch“ der Vogelgrippe unter Wildvögeln. Da die US-Regierung unter Kennedy allerdings nicht impfen wollte, breite sich das Virus jetzt auch auf Geflügelnutztiere aus. Mittlerweile ist die Epidemie so stark, dass sie sogar auf Säugetiere übergreift, allen voran Rinder.

Die ersten Fälle waren aus Texas bekannt gewesen, Ergebnisse wären jedoch von der lokalen Regierung unter Verschluss gehalten worden. Erst als die Krankheit das von Demokraten regierte Kalifornien erreichte, konnten Forscher das Genmaterial des Virus sequenzieren – ein wichtiger Schritt um gefährliche Mutationen zu erkennen.

Besonders problematisch: Informationen zur Übertragung der Vogelgrippe auf Hauskatzen wurden aktiv von der Webseite der zuständigen Krankheits-Behörde CDC genommen. Die Regierung hatte dies per Dekret durchgesetzt.

„Eine andere dramatische Situation sind die Masernfälle“, sagt Ulf Dittmer. Seit 2000 waren die USA weitgehend masernfrei. Dass sich dies nun durch zögerliche Impfempfehlungen umdrehe, „sei grotesk“. Auch könnte das Ende der internationalen USAID-Programme etwa zur HIV-Prävention und -Überwachung zu einem globalen Anstieg der Aids-Fälle führen. Gerade Südafrika könnte davon getroffen werden.

Auswirkungen auf Europa

Dittmer sieht jedoch einige Lichtblicke, denn mittlerweile regt sich Protest gegen die Maßnahmen. Sogar in erzkonservativen Staaten wie Montana würden gut besuchte Demonstrationen gehalten. Er selbst hatte dort noch als Postdoktorand am Rocky Mountain Lab in Hamilton, Montana, geforscht. Nun könnte das Labor wegen der Sparmaßnahmen geschlossen werden – ein herber wirtschaftlicher Schlag für die nur wenige tausend Seelen zählende Kleinstadt. „Selbst die Republikaner merken allmählich, dass Trump ihnen teuer zu stehen kommen könnte“, sagt Dittmer.

Das neue Wissenschafts-Klima in den USA wird auch für die europäische Wissenschaft zeitnah „spürbare Konsequenzen“ haben, glaubt Sebastian Noe von der Deutschen Aids-Gesellschaft. Bereits seit Jahrzehnten sind das deutsche und das amerikanische Wissenschaftssystem eng miteinander verwoben. Am Rande jener fast leeren Konferenz im März in Los Angeles zu HIV, Hepatitis und SARS-CoV-2 sprach er mit Vertretern der Pharmaindustrie. Auch sie könnten in Zukunft bestimmte Studien nicht mehr durchführen – schon allein deshalb, weil sie ihre Studienteilnehmer, etwa Transmenschen, sprachlich teilweise gar nicht mehr beschreiben könnten.

Ein für 2026 in Belgien geplanter Forschungs-Kongress musste auf 2027 verschoben werden, da sich erstmals die Industrie aus der Finanzierung zurückzog. Dabei ging es um die Behandlung von Aspergillose und Mukormykose, zwei oft tödlich verlaufende Pilzinfektionen von Lunge, Atemwegen, Gehirn und Augen. Sie befallen besonders Menschen mit Immunschwäche, wie Aids-, Chemotherapie- oder Diabetespatienten. Ein involvierter deutscher Professor und Infektiologe, der häufig in den USA ist und anonym bleiben möchte, sagte dazu, diese Entscheidungen würden bei den meisten Firmen und Herstellern in den USA getroffen.

Wissenschaft sei in den vergangenen Jahren politisiert worden – und in den vergangenen Wochen massiv, sagt Politikwissenschaftler Sven Grimm von German Institute of Developement and Sustainability. „Die zweite Trump-Regierung hat mit Blick auf die Wissenschaftsfeindlichkeit und einem ‚Kulturkampf‘ eine neue Stufe erreicht.“

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