Social-Media-Influencer geben gerne Rat. In medizinischen Fragen ist er aber allzu häufig gefährlich falsch, wie Experten warnen. „Solche Ratschläge können psychische, physische, finanzielle und systemische Schäden verursachen“, heißt es im Fachjournal „BMJ“. „Von ungenauen Selbstdiagnosen und unangemessenen Behandlungen bis hin zu unnötigen Ausgaben und höheren Gesundheitskosten.“

Regierungen und Plattformen müssten mehr für den Schutz der Öffentlichkeit vor Schäden durch medizinische Ratschläge von Influencern tun, so die Forderung der internationalen Forschungsgruppe.

„Influencer in den sozialen Medien haben in einem digitalen Informationsökosystem, das von Plattformalgorithmen und kommerziellen Anreizen geprägt ist, großen Einfluss gewonnen“, heißt es in der Analyse weiter. Als Beispiel nennt das Team Kim Kardashian, die ihre 360 Millionen Instagram-Follower dazu anregte, sich einer Ganzkörperuntersuchung mit Magnetresonanztomografie zu unterziehen – „einem Test ohne nachgewiesenen Nutzen, der mit Überdiagnosen, unnötigen Eingriffen und Kosten verbunden ist“, so die Autoren um Raffael Heiss vom Medizinzentrum MCI Management Center Innsbruck.

Eine aktuell im Fachjournal „Rheumatology Advances in Practice“ vorgestellte Studie zeigt zudem, dass TikTok-Videos über Gicht häufig irreführend, widersprüchlich oder ungenau sind. Vorwiegend werden demnach Ratschläge und Behandlungen präsentiert, die nicht den klinisch empfohlenen, evidenzbasierten Ansätzen entsprechen. Nur sieben der 200 einbezogenen Videos thematisierten Medikamente als Behandlungsansatz, nur zwei eine langfristige Harnsäure-senkende Therapie – obwohl dies die klinisch erprobte und von Rheumatologen empfohlene Standardbehandlung sei.

Grund für falsche Angaben und Empfehlungen sei mangelnde Kompetenz, aber auch der Einfluss der Industrie und eigene unternehmerische Interessen spielten eine Rolle, erläutert das Team im „BMJ“-Beitrag. Viele Influencer würden dafür bezahlt, Tests, Hautpflegeprodukte oder sogar verschreibungspflichtige Medikamente zu bewerben. „Dies ist besonders problematisch, wenn die Influencer Ärzte sind und von der Bewerbung medizinischer Produkte oder Behandlungen profitieren.“

Risiken werden von Influencern oft nicht genannt

Beim Bewerben von Produkten und Tests im Auftrag von Unternehmen oder für eigene Kreationen würden überwiegend nur vermeintliche Vorteile beworben, nicht die Risiken. Die Wirkung solcher verzerrten Darstellungen werde durch die Fähigkeit von Influencern verstärkt, eine einseitige Bindung ihrer Follower – parasoziale Bindung genannt – aufzubauen, was sie zu äußerst überzeugenden Kommunikatoren mache. Sprich: Dem Influencer wird vertraut und bedingungslos geglaubt, obwohl man ihn und seine Motive gar nicht kennt.

Viele Follower merken gar nicht, dass eine Botschaft eigentlich nur Werbung ist. Sie bezahlen viel Geld für vermeintliche Entgiftungskuren, „natürliche“ Heilmittel oder sinnlose Cortisol-Tests. In Österreich zum Beispiel geben dem „BMJ“-Beitrag zufolge 83 Prozent der 15- bis 25-Jährigen an, Inhalte von Influencern mit Gesundheitsbezug zu sehen, 31 Prozent haben daraufhin Nahrungsergänzungsmittel, 13 Prozent Medikamente und 11 Prozente medizinische Selbsttests gekauft.

Um Aufmerksamkeit zu erregen, nutzten Influencer häufig bedrohlich klingende Botschaften. Emotional aufgeladene oder moralisierende Inhalte fänden generell eine größere Verbreitung als faktenbasierte Informationen. Auf diese Weise ließen sich zugleich Reichweiten vergrößern und Produkte bewerben, „darunter Nahrungsergänzungsmittel, die nur schwach reguliert, leicht herzustellen und oft ungetestet sind“. Manche schürten die Besorgnis etwa über einen niedrigen Testosteronspiegel oder Vitaminmangel – trotz der Risiken von Überdosierung, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Verunreinigung mit schädlichen Substanzen.

Teils können Empfehlungen sogar tödlich sein, warnen die Forscher. Etwa, wenn behauptet wird, dass Cannabis, intravenöses Vitamin C, Aprikosenkerne oder eine basische Ernährung Krebs heilen könnten. In den USA bewerbe ein Chiropraktiker mit 14 Millionen YouTube-Abonnenten hoch dosierte Nahrungsergänzungsmittel seiner und anderer Marken, von denen einige wegen eines Bleigehalts über den Sicherheitsgrenzwerten mit einer rechtlichen Warnung belegt worden seien.

Nahrungsergänzungsmittel enthalten teils zu viel Blei

Blei ist ein giftiges Schwermetall, das sich im Körper anreichert und verschiedene Organe schädigen kann. Besonders gefährdet sind Kinder und Schwangere, da Blei die Gehirnentwicklung beeinträchtigt und zu Intelligenzdefiziten sowie Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Der Bleigehalt bei Nahrungsergänzungsmitteln überschreitet häufig gesetzliche Grenzwerte, insbesondere bei Produkten aus Meeresalgen, Ölsaaten, Mineralerden oder ayurvedischen Präparaten.

Eine Studie über die Werbung deutscher Influencer für Nahrungsergänzungsmittel hat Heiss Team zufolge ergeben, dass etwa zwei Drittel der empfohlenen Dosierungen die nationalen Sicherheitsrichtlinien und sieben Prozent die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit festgelegten oberen Grenzwerte überschritten.

In einer im Juni vorgestellten Umfrage im Auftrag der deutschen Verbraucherzentralen gaben 77 Prozent der Befragten an, regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel zu nutzen. Knapp die Hälfte (49 Prozent) ging davon aus, dass vor dem Verkauf getestet wird, ob Nahrungsergänzungsmittel gesundheitlich unbedenklich sind – was nicht der Fall ist. „Vor dem ersten Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln findet keine Prüfung oder Genehmigung durch eine Behörde statt“, heißt es vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.

Gesundheitswerbung bei sozialen Medien müsse stärker überwacht werden, fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband. Als notwendige Strategien sehen die Wissenschaftler um Heiss eine wirksame Regulierung, eine stärkere Rechenschaftspflicht von Plattformen und Influencern sowie die Stärkung der Nutzer durch gezielte Aufklärung und Zugang zu zuverlässigen, faktengeprüften Informationen.

Allerdings sei mit ordentlich Gegenwind zu rechnen: „Plattformen sind mächtige Wirtschaftsunternehmen mit erheblichen Lobbyressourcen, während Influencer gewinnbringende Content-Ersteller sind“, heißt es im „BMJ“-Beitrag. Um sich der Regulierung zu entziehen, beriefen sich Plattformen auf die Meinungsfreiheit – selbst bei irreführenden Inhalten. „Regierungen sollten sich von solchen Bemühungen nicht abschrecken lassen.“

Der EU-Digitalgesetzentwurf sei schon mal ein Versuch, Plattformen stärker zur Rechenschaft zu ziehen. „Wenn die Zusammenarbeit der Plattformen gewährleistet ist und sich die Durchsetzung als wirksam erweist, könnte der Entwurf als Vorbild dienen für andere Gesetze.“ Dringend erforderlich sei zudem, Nutzern zu helfen, unqualifizierte medizinische Ratschläge kritisch bewerten zu können, meinen die Wissenschaftler. Dabei helfen könnten: Influencer. Denn natürlich gebe es auch solche, die nützliche Gesundheitsratschläge geben und dazu beitragen, verbreitete Irrtümer zu widerlegen.

Jasper Iske zum Beispiel zerlegt in Instagram- und TikTok-Videos teils haarsträubende Behauptungen mit medizinischem Sachverstand und satirischem Biss. „Boah, was erzählen die Leute eigentlich für einen Mist?“, fragt er sich immer wieder. Der Arzt am Deutschen Herzzentrum Berlin ist nicht allein mit seinem Anliegen. „Einige Kanäle werden von echten Ärztinnen und Ärzten betrieben, die mit viel Herzblut gegen die Flut unseriöser Angebote ankämpfen“, erklärte Gesa Schölgens vom Faktencheck Gesundheitswerbung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kürzlich.

Hinzu kommen Influencer, die für evidenzbasierte Botschaften in einfacher, verständlicher Sprache mit Medizinern zusammenarbeiten. Sie erreichten oft auch Zielgruppen, die von herkömmlicher Gesundheitskommunikation nicht angesprochen würden, wie Heiss Team erklärt, etwa junge Menschen und marginalisierte Gruppen. Influencer wiederum, die selbst Patienten sind, könnten anderen Betroffenen wertvolle Unterstützung bieten, insbesondere bei stigmatisierten Erkrankungen.

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