Die berühmten Kessler-Zwillinge Alice und Ellen sind am Montag im Alter von 89 Jahren im Grünwald bei München gestorben. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) bestätigte laut „Münchner Merkur“ und „tz“, dass es sich um einen assistierten Suizid gehandelt habe.
Laut der DGHS seien 2024 allein durch die Vermittlung der DGHS 623 Personen beim Suizid begleitet worden. Das waren 205 mehr als 2023 und rund 400 mehr als noch 2022. Bundesweit schätzte Robert Roßbruch, Präsident der DGHS, die Fälle auf insgesamt 1200 Menschen. WELT beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Was versteht man unter Beihilfe zum Suizid?
Beihilfe zum Suizid leistet, wer einem Menschen, der sich selbst tötet, dabei hilft, etwa durch das Besorgen von Medikamenten. In Abgrenzung zur verbotenen aktiven Sterbehilfe oder „Tötung auf Verlangen“ kommt es darauf an, dass die Sterbewilligen das Geschehen zu jeder Zeit selbst in der Hand behalten. Den Wunsch nach assistiertem Suizid äußern nicht nur sterbenskranke Patienten, sondern auch Menschen, die etwa an Depressionen erkrankt sind.
Wie ist die Gesetzeslage in Deutschland?
Suizid und nicht geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid waren nie strafbar. Der Konflikt drehte sich vor allem um die Frage, wie Sterbehilfevereine oder Ärzte zu beurteilen sind, die Suizidbeihilfe kommerziell oder organisiert und wiederholt anbieten. Im Jahr 2015 hatte der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das kommerzielle und auf Wiederholung angelegte (geschäftsmäßige) Suizidbeihilfe untersagte.
Das Bundesverfassungsgericht kippte das Verbot Anfang 2020 und ließ damit grundsätzlich die Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen zu. Dabei formulierten die Karlsruher Richter ein sehr weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben – und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit.
Wurden die Regelungen daraufhin geändert?
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil von 2020 dem Gesetzgeber nahegelegt, Missbrauch durch ein Schutzkonzept zu verhindern. Der Staat solle einen rechtlichen Rahmen schaffen, der einerseits das Recht auf einen selbstbestimmten Tod ermöglicht, andererseits aber verhindert, dass alte und schwerstkranke Menschen zum Suizid gedrängt werden, weil sie als Last empfunden werden. Dazu lagen dem Bundestag in der Folge mehrere parteiübergreifende Gesetzentwürfe vor, die aber bis heute keine Mehrheit erhielten.
Unter welchen Voraussetzungen ist Suizidbeihilfe nicht strafbar?
Die Entscheidung muss aus freiem Willen, also ohne Überredung, Druck oder psychische Störungen erfolgen. Die entscheidende Person muss in der Lage sein, alle relevanten Informationen zu Alternativen abzuwägen. Die letzte, todbringende Handlung, etwa die Einnahme eines Medikaments, muss immer vom Betroffenen selbst vorgenommen werden.
Wie ist der aktuelle Stand beim Suizidpräventionsgesetz?
Die Suizid-Vorbeugung soll im kommenden Jahr gesetzlich verankert werden. Das berichtete kürzlich unter anderem das „Deutsche Ärzteblatt“ unter Berufung auf Koalitionskreise. Zuvor hatten mehrere Verbände angesichts von rund 10.000 Suizid-Fällen pro Jahr an die Politik appelliert, so schnell wie möglich ein Schutzkonzept für Menschen mit Suizidgedanken zu entwickeln und umzusetzen.
Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag auf ein Suizidpräventionsgesetz verständigt. Ende 2024 hatte die Ampel-Regierung bereits einen Gesetzentwurf beschlossen, der aber wegen des Bruchs der Regierung nicht mehr umgesetzt wurde.
Welche Kritik gibt es?
Der Jurist Oliver Tolmein fordert vom Gesetzgeber rechtliche Rahmenbedingungen für den assistierten Suizid. „Wir brauchen Regelungen, die verhindern, dass hier ein schnell wachsender, kaum kontrollierbarer Markt für Suizidassistenz entsteht“, fordert der Hamburger Fachanwalt für Medizinrecht. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufzuheben, sei der Suizid enttabuisiert worden, jetzt werde er vermarktet, kritisiert Tolmein.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeige für München, dass etwa ein Drittel der Patienten, die mithilfe einer Suizidassistenz gestorben seien, unter Depressionen, kognitiven Einschränkungen oder Demenz litten. In fast zwei Dritteln der Münchner Fälle sei der Gutachter zugleich der assistierende Arzt und auch der Leichenschauer gewesen.
Dies widerspreche den Anforderungen, mit denen die Freiverantwortlichkeit eines Suizids festgestellt werden sollte, stellte der Jurist am Rande einer Tagung zum assistierten Suizid in Osnabrück klar: „Das kann der Gesetzgeber nicht akzeptieren. Und es spricht auch nichts dafür, dass das Bundesverfassungsgericht so einen gänzlich unregulierten Zustand gewollt hat.“
In einem gesellschaftlichen Klima, in dem der Suizid kein Tabu mehr sei, könnten alte und kranke Menschen unter Druck geraten, weil sie ihren Angehörigen finanziell und pflegerisch nicht zur Last fallen wollten, sagte Tolmein. „Das verändert eine eigentlich lebensorientierte Gesellschaft.“
Tolmein bemängelte zudem, dass zu wenig Forschung zum assistierten Suizid und zu den Folgen der assistierten Suizide auf die Hinterbliebenen existiere. Auch die kursierenden Zahlen beruhten auf freiwilligen Angaben einiger Sterbehilfeorganisationen. Der Jurist hält eine Registrierung und Kontrolle von Organisationen und von assistierten Suiziden für dringend notwendig.
Der Theologe und Ethiker Jochen Sautermeister warnt davor, die Berichterstattung über frei gewählte Suizide zu normalisieren. Dies sei bedenklich, weil so der assistierte Suizid als eine Handlungsoption neben anderen dargestellt werde, sagte Sautermeister, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist.
„Die meisten Suizidwünsche werden im Kontext depressiver und anderer psychischer Erkrankungen und in Krisensituationen geäußert“, sagte Sautermeister. Auch bei schwerst- und sterbenskranken Menschen würde nur in den wenigsten Fällen tatsächlich ein stabiler, selbstbestimmter Suizidwunsch vorliegen.
Haben Sie suizidale Gedanken oder sorgen sich um einen Angehörigen oder Bekannten? Hilfe bietet die Telefonseelsorge mit anonymer Beratung unter 0800/1110111 (evangelisch) und 0800/1110222 (katholisch). Wissen, Selbsttests und Adressen finden Sie hier oder hier.
Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter http://www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
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