Bluthochdruck macht sich oft lange gar nicht bemerkbar, kann aber mit Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Gesichtsrötung oder Herzklopfen einhergehen. Wirklich sicher erkennen Betroffene ihn nur durch regelmäßiges Messen. Markus van der Giet ist Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie, Hypertensiologe (DHL) und betreut an der Berliner Charité zahlreiche Bluthochdruck-Patienten.
WELT: Herr van der Giet, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Bluthochdruck. Warum hat Sie dieses Thema so gepackt?
Markus van der Giet: Das war eher Zufall. Vor rund 30 Jahren habe ich in Münster meine Doktorarbeit zum Thema Bluthochdruck geschrieben – und bin dabeigeblieben. Mich fasziniert, wie viele Menschen betroffen sind. Damals war die Welt der Hypertonie noch unsortierter als heute. Seitdem habe ich erlebt, wie wir die Behandlung verbessert haben – und wie sehr wir Patientinnen und Patienten helfen können.
WELT: Viele denken, Bluthochdruck betrifft vor allem Ältere. Stimmt das noch?
van der Giet: Nur bedingt. Wir können heute viel besser messen und können auch schon früher Bluthochdruck bei Jüngeren diagnostizieren. Früher waren die Blutdruckmessgeräte unhandlich, heute gibt es präzise und leicht verfügbare Messgeräte. Außerdem haben wir heute ein breites Arsenal an Medikamenten mit jahrzehntelanger Erfahrung. Damit lässt sich Bluthochdruck gut einstellen. Aber klar: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, weil die Gefäße an Elastizität verlieren.
WELT: Erklären Sie bitte einmal ganz einfach: Was passiert bei Bluthochdruck eigentlich im Körper?
van der Giet: Blutdruck entsteht durch das Zusammenspiel von Herzleistung und Gefäßwiderstand. Das Herz pumpt, die Gefäße leiten den Druck weiter. Normalerweise sind Arterien elastisch, können sich weiten und zusammenziehen. Mit den Jahren verlieren sie diese Elastizität, werden starrer. Dann steigt der Druck – und genau das ist Bluthochdruck. Das Problem: Er schädigt langfristig Herz, Gehirn, Nieren, Beine. Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Demenz sind oft die Folge.
WELT: Warum merken Betroffene den Bluthochdruck gar nicht?
van der Giet: Weil Bluthochdruck nicht weh tut. Das ist ein stiller Prozess. Erst bei extrem hohen Werten kommen Symptome wie Kopfschmerzen oder Schwindel. Viele fühlen sich sogar kurzfristig leistungsfähiger – was trügerisch ist. Ein alter Spruch sagt es ganz treffend: Wer hohen Blutdruck hat, lebt kurz und intensiv, wer niedrigen hat, lang und elendig.
WELT: Früher war es die Säbelzahntiger, heute sind es Stress, Salz und Übergewicht, die den Druck treiben. Wie groß ist der Einfluss des Lebensstils?
van der Giet: Einen wichtigen Anteil hat die Genetik – viele erben den Bluthochdruck von ihren Eltern. Aber der Lebensstil moduliert, wie früh und wie stark er auftritt. Sport, Ernährung, Gewicht und Salzkonsum machen den Unterschied, ob er mit 40 oder vielleicht erst mit 60 auftritt. Ganz entkommen kann man dem Risiko aber nicht.
WELT: Viele setzen inzwischen auf Gadgets wie die Apple Watch, die angeblich Blutdruck messen. Bringen solche Wearables etwas?
van der Giet: Sie messen nicht wirklich, sondern schätzen. Verlässlich sind nur Oberarm-Messgeräte mit Manschette. Aber Wearables können Hinweise geben – etwa: Dein Pulsverhalten deutet auf Bluthochdruck hin, lass dich untersuchen. Das ist wertvoll, denn rund ein Viertel der Betroffenen weiß gar nichts von seiner Krankheit.
WELT: Wenn man keine Smartwatch hat – woran merkt man hohen Blutdruck?
van der Giet: Leider an fast nichts. Deshalb die Empfehlung: Ab 40 einmal jährlich den Blutdruck messen, sei es beim Hausarzt, in der Apotheke oder zu Hause. Jüngere sollten es ebenfalls gelegentlich tun, gerade, wenn Bluthochdruck in der Familie vorkommt.
WELT: Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
van der Giet: Ja. Frauen haben durch regelmäßige Gynäkologen-Besuche einen Vorteil, weil dort routinemäßig gemessen wird. Männer gehen oft nur selten zum Arzt. Darum sind Betriebs-medizinische Checks wichtig: Jede und jeder Beschäftigte hat Anspruch auf Vorsorgeuntersuchungen, die auch Blutdruckmessungen beinhalten.
WELT: Medikamente gibt es viele – ACE-Hemmer, Betablocker, Diuretika. Wie gut sind die heutigen Therapien?
van der Giet: Wir haben exzellente Medikamente mit langer Erfahrung, die in Kombination über 90 Prozent der Patienten zuverlässig einstellen. Nebenwirkungen sind seltener geworden. Aber klar: Medikamente sind nur eine Säule. Genauso wichtig sind Bewegung, Gewichtsreduktion, salzarme Ernährung und Stressmanagement. Medikamente ohne Lebensstiländerung sind wenig sinnvoll.
WELT: Und was ist mit neuen Entwicklungen?
van der Giet: Es gibt Ansätze, gezielter zu therapieren, etwa für Diabetiker oder stark Übergewichtige, bei denen die Kontrolle schwieriger ist. In den nächsten Jahren werden neue Substanzen kommen. Aber schon jetzt können wir mit den bestehenden Medikamenten enorm viel erreichen.
WELT: Welche drei Ratschläge geben Sie unseren Lesern?
van der Giet: Erstens: Regelmäßig messen, mindestens einmal im Jahr. Zweitens: Den Kopf nicht in den Sand stecken – Bluthochdruck ist keine Charakterschwäche. Drittens: Lebensumstände anpassen, nicht zwanghaft, aber so, dass der Druck sinkt. Und: Medikamente nicht verteufeln – sie retten langfristig Organe und Leben.
WELT: Gibt es Mythen, die Sie ausräumen wollen?
van der Giet: Der Klassiker ist Kaffee. Viele glauben, man dürfe ihn bei Bluthochdruck nicht trinken. Das stimmt so nicht – Kaffee ist kein Problem.
WELT: Bluthochdruck gilt als Volkskrankheit. Tut die Politik genug?
van der Giet: Noch nicht. Wenn 30 Prozent der Betroffenen gar nichts von ihrer Erkrankung wissen, ist das ein massives Problem. Denn wir wissen: Diese Menschen erleiden 10, 20 Jahre später Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Nierenversagen. Unser Gesundheitssystem ächzt heute schon unter den Folgekosten und dem Pflegemangel. Deswegen brauchen wir dringend einen präventiven Ansatz: frühzeitige Blutdruckkontrolle, bevor Organschäden entstehen. Das ist allerdings Politik mit langem Atem. Wenn ich heute mit Prävention beginne, sehe ich den Erfolg erst in zehn oder fünfzehn Jahren. Aber es wäre die nachhaltigste Gesundheitspolitik überhaupt. Man würde teure Reparaturen verhindern.
WELT: Hat die Politik das Problem überhaupt im Blick?
van der Giet: Es gibt Bemühungen. Karl Lauterbach hat das „Gesunde-Herz-Gesetz“ vorgeschlagen, das ich sehr sinnvoll fand. Es wäre ein wichtiger Schritt gewesen, die Bevölkerung breiter aufzuklären. Leider wurde es zerredet und auch politisch nur begrenzt gewollt – wie so vieles. In Deutschland sind wir erfinderisch im Kaputtreden und Verkomplizieren. Dabei brauchen wir dringend diese einfachen präventiven Ansätze. Denn eines darf man nicht vergessen: Das Gesundheitssystem ist ein Reparaturbetrieb. Ärztinnen, Ärzte, Pflegekräfte – wir alle reparieren, wenn etwas kaputt ist. Prävention bedeutet, Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist zwar weniger spektakulär, spart aber langfristig Milliarden und rettet Leben.
WELT: Ihr persönliches Schlusswort?
van der Giet: Hören Sie auf zu rauchen, stellen Sie den Blutdruck ein, und reduzieren Sie, wenn möglich, das Gewicht bei regelmäßiger Bewegung. Das sind die drei besten Strategien, um Herz und Gefäße langfristig zu schützen – und um den „stillen Killer“ Bluthochdruck dauerhaft zu besiegen.
Markus van der Giet ist Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie, Hypertensiologe (DHL) sowie Clinical Hypertension Specialist (ESH). Er arbeitet an der Berliner Charité sowie als Schwerpunktleiter der Ambulanzen. Van der Giet ist derzeit Vorsitzender der Deutschen Hochdruckliga (DHL).
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke