Sich im Grünen oder in einer herbstlich gefärbten Landschaft aufzuhalten, ist eine wahre Wohltat. Sowohl die Seele als auch die Augen können sich in der Natur erholen, und Städter „tanken“ in Parks oder Gärten nachweislich neue Energie. Das gelingt in manchen Anlagen besser als in anderen, was offenbar mit der Liebe zum Detail – und der besonderen Gestaltung zusammenhängt.

Die gekonnte Geometrie der Gelassenheit kommt in japanischen Gärten mal mehr, mal weniger wirkungsvoll zur Geltung, wie im Fachblatt „Frontiers in Neuroscience“ nachzulesen ist. Ein internationales, interdisziplinäres Team schickte in Kyoto 16 Studenten jeweils sieben Minuten lang in zwei Gärten: den Universitätsgarten und in die 1896 fertiggestellte Anlage „Murin-an“, heute eine bekannte Touristenattraktion.

Eine Einladung zum Verweilen

Das Team um Seiko Goto, Nagasaki und Karl Herrup, Pittsburgh, zeichnete die Augenbewegungen, die Herzfrequenz während des Besuchs sowie die Stimmung vor und nach dem Aufenthalt auf. Mit Ergebnissen, für die sich nicht nur Landschaftsarchitekten, sondern auch Erholungssuchende interessieren dürften. Denn das Konzept ist übertragbar – und selbst an eisigen Wintertagen effektiv, wenn kein buntes Laub das Auge anzieht und zum Verweilen einlädt.

Es gibt keine feste Formel für „den“ japanischen Garten – und vielleicht ist das sein Geheimnis. In Japan reicht die Spannweite von sorgfältig gestalteten Innenhöfen moderner Apartmenthäuser bis zu den weitläufigen kaiserlichen Parkanlagen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. Sie alle sind Teil einer Tradition, die mehr als 1400 Jahre zurückreicht, so in etwa ist es bei der „Japanese Garden Society“ in Großbritannien nachzulesen.

Noch heute lernen angehende Gärtnerinnen und Gärtner demnach ihr Handwerk in jahrelanger Ausbildung bei einem Meister, so wie es seit Jahrhunderten üblich ist. Zehn Jahre oder mehr verbringen sie damit, die Techniken, aber auch den Respekt vor der Natur und den Traditionen zu verinnerlichen. Vielleicht ist es gerade dieser Hingabe zu verdanken, dass solche Gärten bei ihren Besuchern ein Gefühl von Zeitlosigkeit und Kontinuität hervorrufen.

Die Betrachter können darin die asketische Schönheit eines Karesansui entdecken, eines trockenen Sand- und Steingartens, oder die feine Eleganz eines Chisen Kaiyū-shiki Teien, eines Wandelgartens mit Teich. Ebenso typisch sind die Gärten, die Tachibana no Toshitsuna (1028–1094) im ältesten erhaltenen Gartentext der Welt, „Sakuteiki“ – oder die Kunst des japanischen Gartens, beschrieb oder auch naturnahe Landschaften, die in späteren Jahrhunderten entstanden sind und den Blick mehr auf das Lebendige richteten.

Eine traditionelle Form des japanischen Gartens ist der sogenannte „Betrachtungsgarten“ (Kanshō-teien). Im Gegensatz zu den meisten Gärten, die dazu einladen, sich durch den Raum zu bewegen und ihn aus verschiedenen Perspektiven zu erleben, ist dieser so gestaltet, dass er von einem einzigen, festgelegten Standpunkt aus – meist im Sitzen – betrachtet wird. Die Wahl dieses Blickpunkts ist kein Zufall, sondern ein Gestaltungselement, das mit größter Sorgfalt gewählt wird, um die visuelle Wirkung des Gartens zu entfalten.

Diese bewusste Kontrolle über den Blick des Betrachters folgt einem tieferen Zweck: Betrachtungsgärten sollten mehr sein als nur schön. In Zen-Tempeln etwa dienten sie den Mönchen als Hilfe zur Meditation und erfüllten damit eine spirituelle Funktion, die weit über reine Ästhetik hinausging.

Ein japanischer Garten ist deshalb weit mehr als ein dekoratives Arrangement – sondern als ein Versuch zu verstehen, den Geist der Natur zu erfassen. Er spiegelt den Rhythmus der Jahreszeiten und die Vergänglichkeit des Lebens, die in jeder Blüte, jedem Stein und jedem Schatten mitschwingt. Sein Ursprung ist zutiefst spirituell, denn die Idee ist, eine Landschaft zu schaffen, so vollkommen in ihrer Harmonie, dass die Götter darin verweilen möchten – und mit ihnen für einen Moment der Mensch.

Ein Besuch bei den Kami

Das Konzept der Gärten geht zurück auf die Shintō-Schreine, Orten der Verehrung von Naturgeistern, den Kami, die in natürlichen Elementen, etwa Steinen oder Bäumen, hausen können. Wie auch andere Bestandteile der japanischen Kultur wurden die Gärten durch die Einflüsse der „Güter“ entlang der Seidenstraße geprägt, insbesondere durch den Buddhismus sowie die chinesische Philosophie, Gartengestaltung – und Landschaftsmalerei. Archäologische Funde lassen jedoch annehmen, dass bereits in der Kofun-Zeit (250–538 n. Chr.) naturalistische Gärten in Japan entstanden, also noch vor den ersten chinesisch inspirierten Palastgärten.

In Japan wurden Gärten zu zentralen Elementen vieler Tempel – als Sinnbilder des Paradieses oder als Landschaften für die Mediation. Der Adel trieb die Gartenkunst voran, insbesondere mit Tee- und Wandelgärten. Deren Architekten erschaffen eben kein Gemälde, sondern einen Raum, mit der Tiefe als zusätzlicher Dimension und nicht zu vergessen: die der Zeit. Jahreszeiten, Licht und Wachstum verändern das dreidimensionale Kunstwerk, es bewahrt zwar die Form, doch wandelt sich ständig.

Damit ein japanischer Garten seine gewünschte Wirkung zeigen kann, muss er den Betrachter in seine Atmosphäre hineinziehen, ihn Teil des Ganzen werden lassen. Westlich gestaltete Gärten sollen eher beeindrucken, nicht berühren. Im japanischen Garten werden Blütenpflanzen wie die Kamelie oder Rhododendron außerdem strategisch platziert, nicht im Überfluss.

Die japanische Handwerkskunst zeigt sich in bewusst platzierten Steinlaternen, Brücken, Toren und Wasserbassins aus natürlichen Materialien. Der Mensch soll in das Gefüge hineingezogen werden und in aller Stille den Dialog mit der Natur aufnehmen. Der Garten soll ein harmonisches Gleichgewicht bilden zwischen den sichtbaren Formen, also Felsen, Wasser, Pflanzen, und dem Unsichtbaren, das in ihnen wohnt. Er umfasst sowohl die strenge Symbolik des Zen wie die poetische Sinnlichkeit des Shintō, die Verbindung von Naturverehrung, Stille und bewusster Gestaltung.

Es ist ein Zusammenspiel von Formen, Farben, Umgebung, aber auch der weißen, „leeren“ Flächen, Yohaku genannt. Ein japanischer Garten ist eine sorgfältig gestaltete visuelle Welt, deren Mittelpunkt stets der Betrachter bildet. Die zentrale Frage bei der Gestaltung: Wie wird der Mensch mit diesem Garten in Beziehung treten? Wie ändern sich seine Blickwinkel, seine Perspektiven?

Auf welche Weise die Gestalter diese Fragen umsetzen, hat Einfluss darauf, welche Wirkung ein Besuch entfaltet. Wie die „Frontiers“-Studie eines Teams von Psychologen, Neurobiologen, Landschaftsarchitekten und anderen Wissenschaftlern zeigte, entspannten die Teilnehmer im „Murin-an“ mehr. Und das erklären die Forscher so: Derart aufwendig gestaltete japanische Gärten bestehen aus eindrucksvollen und abstrakten Landschaften, die sehr detailliert gestaltet sind.

Und ihre Wirkung ist offenbar denen anderer Grünanlagen überlegen, wie 2018 eine Studie belegtobei schon der Blick aus dem Fenster Patienten helfen kann, sich schneller nach einem chirurgischen Eingriff zu erholen: Wenn sie statt einer Mauer natürliches Grün sehen, wie der US-Geograf Roger Ulrichs bereits 1984 im Journal „Science“ berichtete.

Messungen zeigten inzwischen, dass sich das parasympathische Nervensystem – jener Teil des Körpers, der für Ruhe und Erholung sorgt – aktiviert, wenn der Blick langsam über die Landschaft eines japanischen Gartens wandert. Offenbar lassen Frauen ihre Augen weiter schweifen als Männer und wechseln häufiger die Blickpunkte.

Und in Tests mit älteren und teils dementen Probanden konnte das Team von Seiko und Herrup zeigen, dass die Gestaltungsmerkmale eines japanischen Gartens deren Aufmerksamkeit fesseln kann. Durch den Besuch gelang es sogar, den „Nebel der Demenz“ zu durchdringen, wie es die Forscher formulieren.

Die aktuelle „Frontiers“-Studie bestätigt frühere Untersuchungen und belegt außerdem: Die Elemente in dem – von dem Landschaftsarchitekten Ogawa Jihei VII nach Wünschen des Besitzers, Premierminister Yamagata Aritomo – meisterhaft strukturierten Garten von „Murin-an“ regen zum längeren Betrachten an, um die Komposition zu verstehen.

Der Wasserlauf soll einen Fluss darstellen, der aus fernen Bergen herabfließt – mit einem seichten Teich und einem zickzackförmig verlaufenden Bach, umgeben von üppiger Vegetation. Von dieser war allerdings nur die karge Winter-Version zu sehen, denn man hatte für das Experiment einen seltenen Ruhetag im Januar 2023 genutzt: Die Probanden saßen dann bei Temperaturen von 6 bis 13 Grad Celsius im Garten.

Ihr Blick „wanderte“ öfter, weiter und schneller über das gesamte Sichtfeld als im Universitätsgarten. Mit der Folge, dass hier die Herzfrequenz signifikant sank. Der Stress fiel von ihnen ab, die Stimmung stieg. Letzteres wurde mithilfe eines kurzen Fragebogens erfasst.

Die positive Wirkung sei vor allem auf Gestaltungsmerkmale zurückzuführen, die einen Betrachter zu häufigen und schnellen horizontalen Blickwechseln veranlasst, berichten die Forscher, denn beide im Versuch besuchten Anlagen enthalten die charakteristischen Elemente japanischer Gärten wie Wasserspiele, Steine, Bäume und eine Brücke.

Aber entgegen der ursprünglichen Annahme, dass die Betrachtung einzelne Gartenelemente, wie Steine, bestimmte Pflanzen oder Wasserflächen, zur Entspannung führen, ist es der Effekt der Gesamtkomposition, die in diesem Fall bewusst die umgebende Landschaft einbezieht. Laut den Experten spielt die Qualität des Arrangements eine entscheidende Rolle, aber die Qualität der Pflege ist ebenfalls wichtig.

Im besten Fall ist ein japanisch gestalteter Garten also kein Luxus, sondern Therapie. Die Forscher sind jedenfalls davon überzeugt, auch wenn sie wissen, dass die Zahl ihrer Probanden statistisch nicht genügt: „Unsere Studie vertieft das Verständnis dafür, wie das Betrachten eines Gartens – eine einfache, nicht-pharmakologische Intervention – sowohl physiologische als auch psychologische Stressanzeichen reduzieren kann.“

Wer den Effekt selbst in „Murin-an“ erfahren möchte: Der naturnahe Garten im Nordosten von Kyoto steht Besuchern das ganze Jahr über offen. Hinein dürfen immer nur 15 Personen gleichzeitig. Aber so kann die friedliche Atmosphäre erhalten werden, die dem Garten den Ruf eingebracht hat, einer der entspannendsten Orte der Region zu sein.

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