Zink, Kupfer, Natrium und vor allem Lithium sind Elemente, auf die Hersteller von Batterien derzeit setzen. Zugleich zählen diese vier zu jenen 27 Metallen, die für das menschliche Gehirn von Bedeutung sind. Tatsächlich schenken auch Neurowissenschaftler dem Lithium besondere Aufmerksamkeit.
Das Spurenelement, mit dem seit Jahrzehnten bipolare Störungen behandelt werden, trägt wohl zur Erhaltung der geistigen Fähigkeiten im Alter bei. Außerdem scheint es laut einer aktuellen Studie eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Alzheimer-Krankheit zu spielen, was einen neuen Ansatz für die Behandlung oder deren Unterstützung bieten könnte.
Allein in Deutschland leben derzeit rund 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung, ein Großteil von ihnen leidet unter Alzheimer. Schätzungen zufolge wird sich die Zahl der Betroffenen über 65 Jahren bis zum Jahr 2050 auf bis 2,7 Millionen erhöhen. Gerade für jene, bei denen die Veränderungen im Gehirn erst beginnen, wären die aktuellen Ergebnisse relevant – sollten sie sich in klinischen Tests bestätigen.
Risikofaktoren für Alzheimer
Abgesehen von erblichen Faktoren haben verschiedene Umweltparameter und der persönliche Lebensstil einen gewissen Einfluss auf die Entstehung von Morbus Alzheimer. Deshalb wird als Gegenmaßnahme zu körperlicher und geistiger Aktivität geraten sowie zum Pflegen sozialer Kontakte. Eine gesunde Ernährung ist natürlich empfehlenswert, und womöglich könnte sich ein bestimmtes Nahrungsergänzungsmittel als hilfreich erweisen.
Leichte kognitive Schwächen, die ersten Anzeichen für diese Demenzerkrankung, gehen offenbar mit auffällig verringerten Lithium-Konzentrationen im Gehirn einher. Das berichtet ein Team um den Neurologen Bruce Yankner von der Harvard Medical School in Boston jetzt im Journal „Nature“ – und ging dem Zusammenhang in umfangreichen Tests an Mäusen nach.
Die beobachtete Abnahme der Lithium-Konzentration im Gehirn von Alzheimer Patienten sei zwar relativ klein, erläutert Stefan Lichtenthaler vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der nicht an dieser Studie beteiligt war, aber ausreichend groß, um sich als Ansatzpunkt für eine neuartige Behandlung zu lohnen.
Lichtenthaler hat an der Technischen Universität München eine Professur für Neuroproteomik inne, sein Forschungsgebiet sind die molekularen Grundlagen neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit. Die neue Studie der US-Kollegen schätzt er als „solide und gut kontrolliert“ ein, sie beschreibe einen „sehr interessanten Befund mit unmittelbarer klinischer Relevanz“.
Amyloid-Plaques binden Lithium
Das Team um Yankner spürte den frühen molekularen Veränderungen beim Ausbruch der Alzheimer-Krankheit nach und fokussierte sich dabei auf essenzielle Metalle wie Zink, Kupfer, Natrium und eben Lithium. Letzteres wird, wie sich zeigte, von den für Alzheimer typischen Beta-Amyloid-Plaques regelrecht angezogen und darin gebunden, schreiben die US-Forscher jetzt in „Nature“.
Der dadurch gesenkte Lithium-Spiegel habe mehrere physiologische Effekte, fördere etwa Entzündungen und wiederum die Bildung schädlicher Plaques. In der Folge sterben Nervenzellen ab, es kommt zum geistigen Verfall.
Diese Prozesse erforschte das Team auf molekularer sowie zellulärer Ebene im Tierversuch an speziellen Mäusen. Aus den gesammelten Daten schlossen sie, dass es sich lohnen könnte, nach einem Lithiumsalz zu suchen, dass weniger von den Amyloid-Plaques eingefangen wird. In der Hoffnung, dass eine solche Verbindung jene Mengen ersetzen kann, die dem Gehirn bei der Alzheimer-Krankheit fehlen.
Die Studienautoren testeten 16 Lithiumsalze, von denen sich Lithiumorotat als am besten geeignet erwies; wirksamer noch als Lithiumcarbonat, wobei die Dosierung aufgrund von Nebeneffekten als problematisch gilt. Die Forscher verweisen auf kleine klinische Studien von Kollegen zum Lithium-Einsatz bei Alzheimer. Und mit ihren jetzt veröffentlichten Ergebnissen wecken sie die Hoffnung, dass dieses therapeutisch bisher nicht genutzte Lithiumsalz künftig Patienten helfen könnte, vielleicht sogar dem geistigen Verfall vorbeugen.
In einem begleitenden „Nature“-Kommentar schreibt Ashley I. Bush, Professor für Neurowissenschaften und Psychiatrie an der University of Melbourne: „Die Ergebnisse stellen eine neue Richtung für die Erforschung der zugrunde liegenden Ursachen der Alzheimer-Krankheit dar und weisen auf ein bisher unerschlossenes therapeutisches Paradigma hin.“
Erst Tierversuch, dann klinischer Test
Der Münchner Alzheimer-Forscher Stefan Lichtenthaler zieht aus der Studie ebenfalls den Schluss, dass „die Rolle von Lithium bei der Alzheimer-Krankheit re-evaluiert werden sollte, inklusive des Wiederholens der Studie durch andere Wissenschaftler“. Da die Verabreichung von Lithiumorotat in den Mausstudien einen präventiven und therapeutisch günstigen Effekt hatte, sei es naheliegend, ähnliche Studien beim Menschen vorzunehmen.
„Die Gabe des Lithiumsalzes, das als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich ist, wäre einfach und zügig zu testen“, sagt Lichtenthaler gegenüber WELT, er betont aber wie Ashley Bush: „Auf jeden Fall sind sorgfältig kontrollierte Studien essenziell, um zu testen, ob die Lithiumsalz-Gabe wirklich einen positiven Effekt hat. Daher würde ich aktuell von der unkontrollierten Einnahme von Lithiumsalzen abraten.“
Die Einnahme von Lithiumsalz würde auch sein Münchner Kollege Jochen Herms, Direktor des Instituts für Neuropathologie, nicht empfehlen. Dass das Gehirn unter einer Lithium-Mangeldiät, denen man die Versuchstiere im Harvard-Labor experimentell unterzogen hatte, leide, sei als Befund interessant, etwa der beobachtete Effekt auf die Mikroglia-Zellen.
Ob dies aber auch für die Alzheimer-Krankheit relevant ist, das sei damit bisher nicht bewiesen. Auch den Einfluss der Amyloid-Plaques auf den Lithium-Spiegel, und über diesen auf die Entstehung von Alzheimer, hält der Neuropathologe nicht für ausreichend gezeigt. Denn diese Ablagerungen würden sich im Laufe von mehreren Jahrzehnten bilden, „das zieht sich ewig hin“.
Herms, Leiter der DZNE-Forschungsgruppe Translationale Hirnforschung, bezeichnet Bruce Yankner, den Hauptautor, als sehr anerkannten Kollegen, „ein kluger Kopf“. Die aktuelle Studie jedoch betrachtet er eher skeptisch, hält die Interpretation des Kernbefunds für überzogen. Zumal sich Beobachtungen aus dem Mausmodell für die Alzheimer-Krankheit nicht einfach auf den Menschen übertragen ließen, weil die sogenannte Tau-Pathologie vernachlässigt werde. Von dieser hänge aber die kognitive Beeinträchtigung ab.
„Vor zehn Jahren hätte mich die Studie vielleicht vom Hocker gehauen, heute nicht mehr“, stellt Herms nüchtern klar. Der Neuropathologe bezeichnet die Studie als „super old fashioned“, altmodisch. Er würde deshalb nichts ändern an seiner Ernährungsweise. Verbraucher sollten nun nicht anfangen, zusätzlich Lithiumssalze zu konsumieren.
Viel wichtiger sei doch, dass es mittlerweile Antikörper als effektive Behandlung gebe: Bei der Immunisierungstherapie, die sich – in einem sehr frühen Stadium – gegen Amyloid-Plaques richtet, sei man einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Diese noch zu verbessern, da gebe es interessante Ansätze. „Und wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, diese Erkrankung schon zu einem Zeitpunkt zu erkennen, bevor die ersten Symptome auftreten“, sagt Herms.
Irgendwann werde es wohl so kommen, dass man ab 60 eine Risikoabschätzung mache. Auf der Basis verschiedener Parameter, angefangen von genetischen Risikofaktoren bis hin zu bestimmten Plasmawerten und anderen Diagnoseverfahren. Um dann, wenn es sich anbiete, eben früh mit der Antikörper-Therapie beginnen zu können.
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