Bis heute fehlt eine wirksame HIV-Impfung gegen das wandlungsfähige Aids-Virus. Eine neue Studie an Primaten gibt aktuell Anlass zur Hoffnung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Für die jüngere Generation bei uns könnte HIV/Aids wie ein Problem ihrer Eltern oder gar Großeltern erscheinen. Doch das 1983 entdeckte Virus ist vor allem in ärmeren Regionen der Welt noch immer eine Geißel. Knapp 40 Millionen Menschen leben derzeit mit einer HIV-Infektion. Und immer noch sterben jährlich über 600.000 an den Folgen von Aids. Auch in Deutschland besteht das Problem weiter: Rund 97.000 Menschen bei uns haben eine HIV-Infektion, geschätzt mehr als 8000 wissen noch nicht einmal, dass sie das Virus in sich tragen. Entsprechend werden sie auch nicht behandelt.

Im Vergleich zu den ersten Jahren dieser Pandemie sind die Therapiemöglichkeiten heute allerdings enorm: Bei fast allen Infizierten gelingt es, das Virus medikamentös so weit zu unterdrücken, dass es mit den verfügbaren Nachweismethoden nicht mehr zu finden ist. Weg ist der Erreger dennoch nicht. Denn ein Absetzen der Medikamente führt in der Regel zum sofortigen Anstieg der Viruslast. Ideal wäre also, wenn sich Menschen erst gar nicht infizierten und verlässlich geschützt wären – etwa durch eine Impfung. Doch der Weg zu solcher Vorbeugung ist beschwerlich, auch wenn eine neue Studie jetzt Hoffnung macht.

Warum ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen das HI-Virus (HIV) so schwierig?

Das erste Hindernis ist eine Art Tarnkappe, die das Virus umhüllt: Fachleute sprechen von einem "Glycan-Schild", der den gefährlichen Kern des Erregers mit Zuckermolekülen umschließt und so vor Angriffen durch das Immunsystem der Infizierten schützt. Dadurch ist HIV ein "behülltes Virus", Influenza, das Corona-Virus Sars-Cov-2 oder Ebola sind weitere. Doch damit können Impf-Forschende inzwischen umgehen. Das entscheidende Hindernis ist die außerordentlich hohe Wandlungsfähigkeit von HIV.

Gesundheit 3300 neue Infektionen mit dem HI-Virus

Unser Immunsystem reagiert auf eine Infektion zunächst mit einer schnellen, aber wenig zielgenauen Abwehr. Meist erst Tage später folgen genetisch genau passende "spezifische" Antikörper, die aber durch Mutationen des Erregers unwirksam werden können. In der Corona-Pandemie war daher oft von der "Immunflucht" des Virus die Rede. Mutiert ein Virus wie HIV dann auch noch sehr schnell, kann das Immunsystem mit dieser Entwicklung kaum oder gar nicht mehr Schritt halten. Das gilt umso mehr, als das HI-Virus ja nicht irgendwelche Körperzellen attackiert, sondern das Immunsystem selbst.

Aufgrund einer Impfung produzierte Antikörper sollten also genetisch so breit aufgestellt sein, dass sie sehr viele, am besten sogar alle Varianten des Virus erwischen können. Darum ist die Entwicklung eines HIV-Vakzins so herausfordernd. Wie es der US-amerikanische Aidsforscher und frühere Direktor des "National Institute of Allergy and Infectious Diseases" Anthony Fauci einmal ausdrückte, muss ein HIV-Impfstoff "eine Immunantwort hervorrufen, die besser ist als eine natürliche. Und das ist schwer zu machen."

Welche Impfstoff-Versuche gab es bei HIV schon?

Erste klinische Studien mit Tausenden von Freiwilligen gab es schon in den 1990er Jahren beispielsweise in den USA, Europa und Thailand. Damals sollte ein Oberflächen-Eiweiß von HIV mit dem Namen "gp120" in den Geimpften passende Antikörper gegen das Virus erzeugen. Doch dieser Ansatz scheiterte. Weder schützten die Impfstoffe vor einer Ansteckung noch halfen sie, wenigstens den Verlauf einer Infektion zu verlangsamen oder abzumildern. Nach diesen Misserfolgen konzentrierte sich die HIV-Impfstoffforschung auf ein komplexeres Vorgehen. Es reichte eben nicht, allein die Produktion einer bestimmten Sorte spezifischer Antikörper auszulösen.

Nun richtete sich der Blick der Forschenden zusätzlich auf sogenannte "T-Zellen" in unserem Immunsystem, die beispielsweise kranke Zellen in unserem Körper erkennen und zerstören oder wenigstens Alarm auslösen und für eine Bekämpfung sorgen. Versuche, die allein auf die "zelluläre Abwehr" setzten, führten allerdings auch nicht zum Erfolg. Erst 2009 gelang es immerhin, durch die Kombination zweier für sich allein unwirksamen Impfstoffe einen Schritt weiterzukommen und das Risiko einer HIV-Infektion unter thailändischen Freiwilligen um etwa ein Viertel zu senken. Das reichte längst nicht für eine breite Anwendung, zeigte aber, dass ein komplexeres Vorgehen zumindest die Chance auf einen wirksamen Impfstoff eröffnete.

Welcher Weg wurde bei der jetzt veröffentlichten Studie gewählt?

Komplexer vorzugehen, heißt vor allem, immer tiefer in die "Fabriken" des Immunsystems einzudringen. Das soll nämlich von Grund auf mit dem HI-Virus vertraut gemacht werden, damit es seine Verteidigungslinien entsprechend breit und wirkungsvoll aufstellen kann. Dass bei diesem schwierigen Unterfangen manchmal vom "Gral" der Impfwissenschaft die Rede ist, kann nicht verwundern.

Besonders interessant sind dabei Antikörper, die in den 1990er Jahren erstmals bei infizierten Menschen gefunden wurden und sich über Jahre entwickeln: sogenannte "bnAbs". Das ist die Abkürzung der englischen Bezeichnung "broadly neutralizing antibodies". Es handelt sich also um Antikörper, die eine mehr oder minder breite Vielfalt von HI-Viren unschädlich machen können. Solche Immun-Multitalente sind allerdings ausgesprochen selten. Will man sie für einen Impfstoff nutzen, muss ihre Produktion künstlich stimuliert werden.

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Für die jetzt veröffentlichte Studie wurden Antikörper so "trainiert", dass sie eine Schwachstelle an der am weitesten herausragenden Stelle der Virushülle ausnutzen konnten. Weil sowohl die Spitze eines Berges als auch die des Herzmuskels oder eines Virus im Lateinischen (und Englischen) "apex" heißt, wird auch dieser herausragende Teil der HIV-Hülle "Apex" genannt. Spannend ist er, weil er sich genetisch wenig verändert und die bnABs darum auch nicht übermäßig "breit" sein müssen, um genau an dieser Stelle von HI-Viren wirksam angreifen zu können.

Für die Studie wurden 24 gesunde Rhesus-Makaken (eng mit den Pavianen verwandte Primaten) zweimal im Abstand von acht Wochen geimpft. Für den Impfstoff-Test wurden Apex-Proteine des HI-Virus gentechnisch so verändert, dass sie für das Immunsystem der geimpften Affen auffälliger waren als das Original auf der Virushülle – um gute Voraussetzungen für die Produktion der gewünschten Antikörper mit breiter Wirkung zu schaffen. Klar war dem Team von Anfang an, dass diese Impfung nur so etwas wie eine Initialzündung sein konnte. Der sollte nach einer gewissen Zeit der Reifung ein Booster folgen, um die Produktion der gegen HIV gerichteten Antikörper (der "bnABs") weiter zu steigern.

Wie gut waren die Ergebnisse und wie geht es nun weiter?

Tatsächlich gelang es durch die Impfung, eine Produktion der gewünschten Antikörper gegen "Apex"- Proteine in Gang zu setzen. Allein das ist schon ein Erfolg. Im Tierversuch mit den Makaken zeigten sich sogar erste Neutralisierungen, es wurden also Antikörper erzeugt, die HI-Viren unschädlich machen konnten. Voll ausgereifte Antikörper mit breitem Wirkungsspektrum aber wurden noch nicht produziert. Von vornherein aber war dem Team klar, dass dieser neue Impfstoff nur ein erster Schritt war. Vor allem sollte er zeigen, dass das Prinzip funktioniert und ausbaufähig ist. Zudem funktionierte der Ansatz nicht nur in der Theorie oder in der Petrischale, sondern auch bei Primaten aus der weiteren Verwandtschaft des Menschen. In allen Rhesus-Makaken erzeugten die Impfungen eine starke Immunantwort. Dabei wurden Vorläuferzellen für die gewünschten breit wirkenden Antikörper nachgewiesen.

Kurz: Der Weg zu einem Impfstoff, der allein oder in Kombination mit Impfstoffen, die auf andere Ziele des Virus gerichtet sind, funktioniert und irgendwann in klinische Versuche an Menschen gehen kann, scheint frei zu sein. Die Frage, wie weit dieser Weg ist, konnte noch nicht beantwortet werden. Angesichts ähnlicher Impfstoffversuche rechnet man mit mindestens zehn Jahren bis zu einem wirksamen, breit verfügbaren HIV-Impfstoff. Doch als wären die wissenschaftlichen Hürden nicht schon hoch genug, kommen nun auch noch massive politische hinzu: Kürzlich strich die US-Regierung unter Donald Trump dem renommierten und an dieser Studie maßgeblich beteiligten "Consortium for HIV/AIDS Vaccine Development" die weitere Finanzierung in Höhe von zuletzt mehr als 250 Millionen Dollar jährlich.

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