Erst vor etwa fünf Millionen Jahren löste sich der Zweig der Menschen vom evolutionären Ast der Schimpansen. Seitdem haben wir uns rapide weiterentwickelt, sodass die Unterschiede heute unübersehbar sind. Doch welche genetischen Veränderungen diese Entwicklung vorrangig vorangetrieben haben, ist noch immer schwer zu beschreiben.
Forscher der University of California – San Diego (UC San Diego) haben jetzt einen weiteren, „vielversprechenden Kandidaten“ für einen solchen Entwicklungstreiber im menschlichen Erbgut identifiziert. Es geht um eine Art genetischen Schalter, der die Produktion von Gehirnzellen steuern soll und diese steigern könnte.
Die 442 Basenpaare lange DNA-Sequenz steht dabei auch in Verbindung mit verschiedenen neurologischen Entwicklungsstörungen – darunter Autismus und Schizophrenie, wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Science Advances schreiben.
Schon im Jahr 2006 kam das Konzept auf, es gäbe rapide mutierende, spezifisch menschliche DNA-Sequenzen. Bei der Suche nach diesen sogenannten „Human accelerated regions“ (HARs) wird nach zwei Kriterien Ausschau gehalten. Einerseits sollten sie sich auch in anderen Säugetieren finden und dort über Jahrmillionen stark konserviert sein. Andererseits sollten sie sich ungewöhnlich schnell verändert haben, während sich unsere menschliche Abstammungslinie vom Rest der Evolution getrennt hatte.
Bislang wurden etwa 3000 solcher HARs gefunden. Die DNA-Sequenzen sind meist recht kurz; mit einer durchschnittlichen Länge von 260 Basenpaaren. Die Mehrheit dieser HARs kodiert tatsächlich keine eigenen Gene, hat aber trotzdem oft entscheidenden Einfluss auf unsere physiologischen Merkmale. Denn als Transkriptionsverstärker können viele von ihnen regulieren, wie stark andere Gene zum Ausdruck kommen.
Sie fungieren dabei wie molekularer Lautstärkeregler. Sie steuern, welche Gene, wie stark und zu welchem Zeitpunkt sie während der Entwicklung eines Organismus aktiviert werden.
Die Reproduktions-Forscher der UC San Diego haben nun ein weiteres HAR identifiziert: HAR123. Tatsächlich existiert die konservierte Region auch in Erbgut von Schimpansen und Mäusen, hat sich seit dem im Menschen jedoch rapide weiterentwickelt. In ihrer Studie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass HAR123 vermutlich eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns spielt.
Turbo für die kognitive Flexibilität
Genauer, reguliert HAR123 die Produktion menschlicher neuronaler Vorläuferzellen (NPCs). Aus diesen können sich sowohl Nervenzellen als auch sogenannte Gliazellen bilden. Letztere stützen das Nervengewebe im Gehirn und isolieren diese elektrisch, um deren Leitfähigkeit zu steigern.
HAR123 koordiniert dabei das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Neuronen und Gliazellen. Das sei insofern interessant, als die Balance zwischen diesen beiden Zelltypen maßgeblich die Hirnentwicklung, die Funktionsfähigkeit der Synapsen und die Neuroplastizität beeinflusst. Gerade letzteres steht mit unserer Fähigkeit zu lernen im Zusammenhang.
Die Forscher schreiben deshalb, es sei „verlockend zu spekulieren“, dass HAR123 die Herausbildung kognitiver Flexibilität fördern könnte – also die Fähigkeit, zuvor erworbenes Wissen zu verlernen und zu ersetzen.
Wegen dieser wichtigen Funktion – das Verhältnis von Nerven- und Gliazellen zu steuern – könnte HAR123 zudem auch bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen und Störungen eine Rolle spielen. Ungleichgewichte zwischen Neuronen und Gliazellen sollen im Zusammenhang mit Autismus und Schizophrenie sowie Alzheimer und Parkinson stehen.
Nun seien weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um die molekulare Wirkung von HAR123 besser zu verstehen und um zu klären, ob die menschliche Version von HAR123 tatsächlich für den Menschen spezifische neuronale Eigenschaften vermittelt. Letztlich, so die Forscher, könne die Forschungsrichtung zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen führen, die vielen neurologischen Entwicklungsstörungen wie Autismus zugrunde liegen.
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