Ein vollständiges menschliches Chromosom künstlich im Labor erzeugen – das ist Ziel des „Synthetic Human Genome Project“ (SynHG). Das international angelegte Forschungsprojekt erhielt kürzlich eine Anfangssumme von rund zehn Millionen Pfund – 11,7 Millionen Euro – vom Wellcome Trust, einer der weltweit größten medizinischen Stiftungen. Das SynHG-Projekt stehe an der Spitze eines der aufregendsten Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, sagt Michael Dunn vom Wellcome Trust.
Bei dem Projekt sollen grundlegende Werkzeuge, Technologien und Methoden entwickelt werden, mit denen Forscher eines Tages komplette Genome synthetisieren können. „Indem wir die notwendigen Werkzeuge und Methoden für die Synthese des menschlichen Genoms schaffen, werden wir Fragen zu Gesundheit und Krankheit beantworten, die wir heute bislang nicht einmal erahnen können, was wiederum unser Verständnis von Leben und Wohlbefinden verändern wird“, prognostiziert Dunn.
„Zum ersten Mal werden Wissenschaftler versuchen, große Teile menschlicher DNA synthetisch herzustellen“, erklärt Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Bisher sei es nur möglich, kurze Abschnitte von wenigen Hundert Basenpaaren zu synthetisieren. Ein vollständiges menschliches Genom umfasst ungefähr drei Gigabasen, also drei Milliarden Basenpaare.
In den nächsten fünf bis zehn Jahren will das SynHG-Team zunächst ein vollständiges synthetisches menschliches Chromosom herstellen – was etwa zwei Prozent der gesamten menschlichen DNA entspräche. Chromosomen sind Träger der Erbinformation und bestehen aus einem DNA-Strang, der mit Proteinen zu einer komplexen Struktur verpackt ist. Im Kern jeder menschlichen Körperzelle befinden sich 23 Chromosomen-Paare. Davon sind 44 Chromosomen für die meisten körperlichen und genetischen Merkmale verantwortlich, zwei bestimmen das biologische Geschlecht.
Der Mehrwert liege zunächst in der Technologieentwicklung zur Grundlagenforschung, sagt Michael Knop, stellvertretender Direktor des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg. Besonders bei der Immunzelltherapie gegen Krebs könne es durch das Projekt schon bald große Fortschritte geben. Ein vollständiges synthetisches menschliches Chromosom wäre „ein öffentlichkeitswirksames Zeichen, ähnlich wie die Mondlandung“, sagt Knop. „Das komplette Genom wäre der nächste Stern: noch lange Zeit unerreichbar.“
Auch vom Wellcome Trust heißt es: „Die Erstellung eines vollständigen synthetischen menschlichen Genoms wird voraussichtlich Jahrzehnte dauern.“ Der potenzielle Nutzen sei aber gewaltig. Ein vollständig synthetisches menschliches Genom könne zum Beispiel zu neuen medizinischen Behandlungen wie Therapien auf der Grundlage von Designerzellen und virenresistenten Gewebetransplantationen führen.
Wem gehört der genetische Code?
Eva Winkler, Geschäftsführende Direktorin am Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen Heidelberg, ist überzeugt: „Dieser Forschungsansatz kann zu neuen Erkenntnissen über die Struktur und Funktionsweise – auch zur Regulation – des menschlichen Genoms führen und dazu beitragen, genetisch bedingte Krankheiten besser zu verstehen und neue Ansätze für die Arzneimittelentwicklung zu ermöglichen.“
Erbgut gezielt zu gestalten, ist in kleinerem Maßstab schon heute möglich – mit sogenannter Genom-Editierung. Mithilfe spezieller Enzyme können an genau definierten Stellen Mutationen eingefügt, Gene ausgeschaltet oder neue DNA-Abschnitte eingefügt werden. Die Genomsynthese werde Veränderungen in größerem Maßstab und die Ermittlung kausaler Zusammenhänge zwischen DNA und menschlichen Eigenschaften ermöglichen, heißt es vom Wellcome Trust.
Synthetische Genome für Mikroben wie das Bakterium Escherichia coli wurden bereits entwickelt. Große, komplexere Abschnitte genetischen Materials herzustellen, wie sie in Tieren und Menschen vorkommen, ist bisher bisher nicht möglich. Kritiker befürchten, dass die mit SynHG entstehenden Technologien zur Schaffung künstlicher menschlicher DNA missbraucht werden könnten – zur Erzeugung von Designer-Menschen, zur Kommerzialisierung menschlicher Körperteile und genetischer Daten oder als Basis zur Herstellung biologischer Waffen.
Ein komplett synthetisches Genom könne zur künstlichen Erzeugung von Embryonen genutzt werden – auch ohne biologische Eltern, erklärt Winkler, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Bei menschlicher DNA sei eine klare Regulierung essenziell, meint Spielmann. Es sei positiv hervorzuheben, dass das Projekt von Beginn an von ethischer Begleitforschung flankiert werde.
Auch Nils Hoppe, Geschäftsführender Leiter des Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS) der Universität Hannover, gibt zu bedenken, dass synthetische humane Genome zwar ein wesentlicher Baustein für ein besseres Verständnis des Zusammenwirkens von Genetik und Gesundheit seien, die Technologie aber zahlreiche Risiken des Missbrauchs mit sich bringe. „So könnten neuartige biologische Kampfstoffe entstehen, oder der Versuch unternommen werden, bestimmte körperliche Merkmale ‚auf Bestellung‘ herzustellen.“
Hoppe argumentiert aber auch, dass die meisten innovativen Verfahren in den Lebenswissenschaften sowohl für den Erkenntnisfortschritt als auch für nicht wünschenswerte Zwecke verwendet werden könnten. „Die damit verbundenen Risiken können deshalb kein Argument sein, eine Technologie nicht weiter zu erforschen.“ Das gelte insbesondere dann, wenn anderswo auf der Welt unter anderen ethischen Rahmenbedingungen die Technologie ohnehin weiterentwickelt werde.
„Wo die Grenzen zwischen ethisch zulässiger Gesundheitsbehandlung und ethisch problematischem Enhancement liegen könnten, müssen wir gesellschaftlich vernünftig diskutieren“, erklärt Hoppe. Diese Frage nach risikobewusster Regulierung stehe neben der zum Umgang mit synthetischen Genomen aus kommerzieller Perspektive: „Können wir uns gesellschaftlich vorstellen, ein synthetisches humanes Genom zu kommerzialisieren?“
Auch Winkler gibt zu bedenken, dass sich bei synthetisch hergestellter DNA die Frage stelle, wem sie gehört. „Bisher galt: Deine DNA ist dein biologisches Erbe.“ Doch synthetische DNA werde im Labor generiert, nicht geerbt. „Dürfen Unternehmen synthetisch erzeugte Sequenzen patentieren, auch wenn sie natürlichen ähneln?“ Hier könne die Frage auftauchen, wie gerecht der Nutzen verteilt ist - oder auch nicht.
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